Sarina
Als begeisterte Leserin von „Stolz und Vorurteil“ war ich sehr neugierig auf Jo Bakers „Im Hause Longbourn“, da – anders als in Jane Austens Original – nicht die Familie Bennet, sondern das alltägliche Leben und Arbeiten der Bediensteten im Mittelpunkt steht. Man bekommt im Buch ihre Sichtweise zu sehen und erfährt was sie zu diesem oder jenem denken. Wer „Stolz und Vorurteil“ gelesen hat und die Familie Bennet kennengelernt hat weiß, dass insbesondere die wenig taktvolle, ständig jammernde und wehklagende Mrs. Bennet sehr anstrengend sein kann. Der Einstieg in das Buch ist mir sehr leicht gefallen. Ich war sofort mitten in der Geschichte und habe das junge Dienstmädchen Sarah bei ihren alltäglichen Arbeiten begleitet. Dabei hat sich relativ schnell herauskristallisiert, dass sie mit ihren Leben zwar nicht unzufrieden ist, sich manchmal aber wünscht mehr daraus machen zu können. Anstatt Tag ein und Tag aus die schmutzige Wünsche der Bennets zu waschen oder sich die Hände wund zu schrubben, möchte sie etwas von der großen weiten Welt sehen und Abenteuer erleben. Diesen Wunsch konnte ich nur zu gut nachvollziehen. Wäre ich an ihrer Stelle, würde es mich auch frustrieren tagtäglich vor Augen geführt zu bekommen, dass die Bennet Töchter alle möglichen Privilegien genießen und alles tun dürfen ohne groß etwas dafür machen zu müssen. Und obwohl es ihnen so gut geht, sind sie trotzdem nicht zufrieden. Neben Sarah ist mir jedoch auch die Haushälterin Mrs. Hill ans Herz gewachsen. Sie ist die gute Seele im Haus ohne die ein heilloses Chaos ausbrechen würde. Im Laufe des Buches sorgt ihre Vergangenheit für einige Überraschungsmomente, die mich immer wieder aufs Neue verblüfft haben. Darum würde ich sie und Sarah als die Charaktere bezeichnen, die diese Geschichte tragen und das Besondere verleihen. Ein ebenfalls wichtiger Charakter ist der Hausdiener James, der mitten im Dienstjahr auf Longbourn auftaucht und seine Stelle antritt. Sarah ist neugierig woher er so plötzlich herkommt, doch aus James ist keine Antwort herauszubekommen. Und so beschließt Sarah sein Geheimnis aufzulösen… Was dieses Geheimnis betrifft, hatte ich schon bald eine gewisse Vermutung, da die Autorin ein paar vereinzelte Hinweise in die Handlung eingebaut hat. Es hat allerdings gedauert, bis ich erfahren habe, ob ich richtig oder falsch liege. Mit dem Ausmaß der ganzen „Auflösung“ hätte ich auch in diesem Fall nicht gerechnet. Gut gefallen hat mir, dass der Leser die bekannte Geschichte aus „Stolz und Vorurteil“ noch einmal mit verfolgen kann: Mrs. Bennets unbeirrte Versuche eine ihrer Töchter mit Mr. Bingley zu verheiraten und natürlich auch das Hin- und Her zwischen Elizabeth und Mr. Darcy wurde aufgegriffen. Trotzdem muss ich sagen, dass sich das Buch für mich ab der Hälfte wirklich langgezogen hat. Ich bin nur noch langsam vorangekommen, da einfach nicht viel passiert ist. Man verfolgt immer und immer wieder denselben Arbeitsalltag und wie Sarah, Polly usw. dieselben Anweisungen entgegen nehmen und diese ausführen. Schade ich hätte mir mehr auf der zwischenmenschlichen Ebene erhofft. Der Schreibstil der Autorin war wiederum sehr gelungen. Sie hat es geschafft mich in die damalige Zeit zurückzuversetzen und mir die Emotionen bzw. Gefühle ihrer Charaktere nahe zu bringen. Beispielsweise Sarah, die zu ergründen versucht ob sie mehr für James oder den Hausdiener von Mr. Bingley empfindet oder Mrs. Hill, die traurig über den Verlust ihres Sohnes ist... Mein Fazit „Im Hause Longbourn“ von Jo Baker ist ein guter wenn auch ein wenig zu ruhiger Roman, der seinen Lesern die Geschichte von Stolz und Vorurteil quasi noch einmal - nur aus der Sicht der Dienerschaft der Familie Bennet - erzählt. Während mich die erste Hälfte des Buches wirklich begeistern konnte, hat sich die Geschichte in der zweiten Hälfte doch sehr langgezogen. Anstatt den ständig tristen Arbeitsalltag der Dienstboten zu wiederholen und sich in diesen Beschreibungen zu verlieren, hätte die Autorin ruhig für etwas Abwechslung sorgen können. Das hätte der Handlung definitiv mehr Pepp verliehen.