Sarina
3,5 Sterne Obwohl zu Anfang noch nicht viel passiert, schafft es die Geschichte einen gewissen Mitreißeffekt zu entwickeln. Jasmine Warga’s Worte strahlen eine Ehrlichkeit aus, die einen stellenweise verblüfft innehalten lässt, um den gerade gelesenen Satz und die Wahrheit seiner Aussage für einen Moment auf sich wirken zu lassen. Denn Jasmin Warga möchte ihre Leser mit Aysel und Romans Geschichte nicht nur auf der Gefühlsebene erreichen, sondern ihn vor allem zum Nach- und Umdenken bringen. Je weiter die Handlung fortgeschritten ist, umso besser hat mir das Buch gefallen. Allerdings muss ich sagen, dass ich emotional nicht so stark involviert war, wie ich es gerne gehabt hätte bzw. erwartet habe. Der Großteil der Geschichte ist mit einer melancholischen Grundstimmung unterlegt und von tiefer Traurigkeit erfüllt, was das Innenleben unserer Protagonistin Aysel fast 1 zu 1 widerspiegelt. Seit ihr Vater vor einigen Jahren etwas sehr schlimmes getan hat, ist sie in einem tiefen, schwarzen Loch gefangen. Mit dem was damals passiert ist, wird sie bis heute nicht richtig fertig bzw. kann sie nicht abschließen, da große Schuldgefühle an ihr nagen. Für mich ist das absolut nachvollziehbar. Ich möchte nicht wissen, wie ich an ihrer Stelle empfinden würde. Das schlimme ist jedoch, dass sie wirklich jeden Tag an die Tat ihres Vaters erinnert wird, sei es durch die komischen Blicke, die ihr ihr Chef immer zuwirft oder das Tuscheln ihrer Mitschüler. Aysel kommt es so vor, als würde sie nur anhand ihres Vaters beurteilt werden. Sein Schatten hängt über ihr und verhindert, dass irgendjemand die „echte“ Aysel kennenlernen möchte. Diese Situation kann sie nicht länger ertragen, weshalb sie keinen anderen Ausweg als Selbstmord sieht. Es hat einige Zeit gedauert bis ich mit Aysel warm geworden bin. Sie lässt einen zwar einerseits an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben, hält einen andererseits jedoch auf Abstand. Außerdem ist sie ziemlich abgestumpft für anderer Leute Gefühle; Mitgefühl scheint ein Fremdwort für sie zu sein, weshalb sie das eine oder andere Mal äußerst taktlos herüberkommt. Meiner Meinung nach steigert sie sich etwas in die ganze Situation hinein und interpretiert manchmal viel zu viel in das Verhalten ihrer Mitmenschen hinein. Vielleicht ist das aber auch ganz normal in ihrer Situation. Aus Angst, Selbstschutz oder Scham, weil man sich fragt was die anderen von einem denken könnten, verfälscht sich der eigene Blick und man reagiert einfach unfair. Roman war für mich zumindest bei seinen ersten Treffen mit Aysel ziemlich undurchschaubar. Zum Glück ändert sich das im weiteren Verlauf. Wir erfahren mehr über ihn und können daher ihn und sein Verhalten besser verstehen. Was mit seiner Schwester passiert ist, ist wirklich tragisch und ich kann nachvollziehen, dass ihn die Schuldgefühle nicht loslassen wollen. Er denkt sehr oft darüber nach, was wäre, wenn er damals eine andere Entscheidung getroffen hätte. Ich bin mehr und mehr zu dem Entschluss gekommen, dass es eigentlich vollkommener Quatsch ist das sich die beiden umbringen wollen. Zurzeit scheint es ihnen die richtige Lösung zu sein, aber nur weil sie in ihrer Traurigkeit gefangen sind und keinen objektiven Blick auf ihr Leben haben. Im Grunde sind ihre Leben gar nicht so schlimm wie sie es denken. Sie müssen einfach nur lernen, wie sie mit den schlechten Erfahrungen/Erlebnissen, ihren Schuldgefühlen etc. weiterleben. Das ist natürlich kein Prozess, der von heute auf morgen stattfindet, doch sie sollten es wenigstens versuchen. Bei keinem ist das Leben immerzu Friede, Freude, Eierkuchen. Jeder wird im Laufe der Jahre mit Schicksalsschlägen konfrontiert. Jeden Tag passieren so viele schlimme Dinge, die man nicht mehr ungeschehen machen kann. Dass akzeptieren zu lernen, gehört zum Leben und Erwachsenwerden dazu. Langsam aber sicher entwickelt sich eine Freundschaft zwischen den beiden aus der dann letztendlich auch ein bisschen mehr wird. Es gab einige Szenen, die wirklich richtig schön waren und in denen die Verbundenheit der beiden ganz deutlich sicht-und spürbar wurde. Dass ihre Gefühle füreinander so greifbar sind, liegt vor allem an dem tollen Schreibstil der Autorin. Mein Kritikpunkt: Aysels Bedenken bzw. ihr Gedanke, dass es vielleicht doch noch Hoffnung gibt, waren plötzlich zu abrupt da. Natürlich kann die Zeit mit Roman (schließlich hat sie sich in ihn verliebt) Einfluss darauf haben, aber wenn man seit Jahren in Depressionen gefangen ist, legt man das bestimmt nicht so einfach ab. Wäre diese Entwickelung ausführlicher behandelt und nicht nur auf den letzten ca. 90 Seiten aufgegriffen worden, hätte ich sie um einiges authentischer und weniger überstürzt empfunden. Mein Fazit Mit „Mein Herz und andere schwarze Löcher“ ist Jasmine Warga ein gutes Jugendbuch gelungen, das den Leser mit der Ehrlichkeit seiner Worte verblüfft und unheimlich nachdenklich stimmt. Aysel und Roman sind durchaus sympathische Charaktere, wenn es auch aufgrund ihres distanzierten Verhaltens bzw. ihrer verschlossenen Art etwas gedauert hat bis ich mit ihnen warm geworden bin. Obwohl im Großteil des Buches eine melancholische Grundstimmung herrscht, enthält die Geschichte jedoch auch einige positive Momente, in denen die Charaktere, zumindest für kurze Zeit, einen kleinen Hoffnungsschimmer erkennen. Leider ging mir Aysels Umdenken zu abrupt, wodurch diese Entwicklung nicht sehr authentisch auf mich gewirkt hat. Ein paar Seiten mehr, hätten zum Schluss wirklich nicht schaden können.