Oneofthefoxes
Meine Schwäche für Romane, die einen zurückliegenden Mordfall behandeln, der noch nicht gelöst werden konnte, führte mich direkt zu "Zurück im Zorn". Scheinbar gibt es bereits einen Schuldigen, doch es wird schnell klar, dass man zumindest darüber nachdenken kann, ob Martin Berger es auch wirklich war. Soweit klingt das ja noch einem recht bekannten Muster. Was mich tatsächlich überzeugt hat, war aber die Herangehensweise von Christoph Heiden. Sowohl Willy als auch Anna, derren Perspektive man hier im Roman in loser Abwechslung folgt, haben Probleme, die auch mit dem Fall zu tun haben. Anna, weil es natürlich ihre Familiengeschichte ist und sie als Einzige überlebt hat. Selbst ihr Onkel und ihre Tante erwarten, dass sie die Vergangenheit hinter sich lässt. Dass Trauer etwas sehr Individuelles ist und es niemandem zusteht, darüber Vorschriften zu machen, ignorieren sie. Bei Willi hängt es auch mit seiner privaten Situation zusammen. Er kann sich einfach nicht lösen, sicher auch, weil er sich sonst mit seiner Trauer um seine Ehefrau auseinandersetzten. Der Fall bietet ihm die nötige Abwechslung. Für meinen Geschmack ist es Heiden gelungen, das alles glaubwürdig zu gestalten. Zum einen, weil so auch logisch nachvollziehbar ist, weshalb Anna das Dorf so selten wie möglich besucht und Willy niemand glauben möchte. Zum anderen bekommen die Figuren dadurch auch die nötige Tiefe, die zeigt, dass solche Erlebnisse eben nicht einfach vergessen werden können. Aber auch, wie hilflos Menschen, die das nur von außen betrachten, darauf reagieren. Sei es mit Unverständnis im Allgemeinen, oder gar mit bösartigen Unterstellungen um des lieben Friedens willen.Denn die Situation bedroht nach der Meinung vieler im Ort, die wirtschaftliche Sicherheit für die Zukunft. Deshalb wird auch Anna als Bedrohung wahrgenommen. Genau dieser Punkt ist kaum zu ertragen, da Anna eigentlich die Person sein müsste, die am wenigsten Schuldzuweisungen bekommt. Stattdessen wird sogar ihr vorgeworfen, die neue Unruhe mit verursacht zu haben. Diese Opfer-Täter Umdrehung fand ich nicht nur interessant, sondern in ihrer Dynamik auch spannend für die Handlung. Auch Martin Berger und seine Mutter stehen im Mittelpunkt der weiteren Handlung. Gerade auch die Frage, was eigentlich passiert, wenn jemand nach langer Zeit aus einer psychiatrischen Einrichtung zurückkehrt (Martin wurde nie als Mörder verurteilt) und alle der Meinung sind, zu wissen, dass er auch ein Mörder ist. Aber auch der Umgang mit solchen Erkrankungen im Allgemeinen. Diese Fragen stehen mit im Raum. Martin hat einerseits keine Möglichkeit als zurück in sein Heimatdorf zurückzugehen. Gleichzeitig scheint auch die Mutter ihm kaum eine andere Chance einzuräumen. Niemand glaubt ihm, dass er nichts damit zu tun hatte. Alle meinen, alles über ihn zu wissen. Über ihn wird viel geredet, aber mit ihm spricht niemand. Außer, um klar zu machen, dass er nicht erwünscht ist. All die aufgestauten Gefühle und Empfindungen, der Wunsch nach einem klaren Schlussstrich bündeln sich in dieser Handlung. Anna und Willy, die auch einen Schluss haben möchten, wird dabei aber als Störfaktoren empfunden, weil sie zu einer anderen Lösung kommen, als der Erwünschten. Diese drei verschiedenen Perspektiven glaubwürdig darzustellen ist Heiden meiner Meinung sehr gut gelungen. Dabei spielen Gewalt und aufgestaute Gefühle eine große Rolle. "Zurück im Zorn" passt als Titel sehr gut. Unterschwellig wird schnell deutlich, was hier im Hintergrund alles noch eine Rolle spielt. Seien es Neid, Angst, Trauer und Wut. Die verschiedenen anderen Figuren verkörpern hier einige sehr spannende Perspektiven, die aus sich heraus nachvollziehbar agieren. Gerade auch, weil sie meinen, alles schon zu wissen, hinterfragen sie ihre Handlungen zum Teil gar nicht. Auch daraus entsteht eine Atmosphäre, die jederzeit kippen kann. Das liest sich bedrohlich, aber auch spannend. Ich habe immer auf den großen Knall gewartet. Überzeugt hat mich auch das Ende. Wer hier einen Kuschelkurs sucht, sollte ein anderes Buch lesen. Ich fand es eigentlich unbefriedigend irgendwie, aber auf eine gute Art. Es hätte einfach meiner Meinung nach, nicht gepasst, wenn es anders gewesen wäre. Außerdem bietet es dadurch auch Anknüpfungspunkte, um mehr zu erzählen (jaaa bitte *gg*) kann aber auch als Ende für sich bestehen. Ich persönlich mag es, wenn ich mich an Figuren aufreiben kann. Wenn sie nicht so richtig sympathisch sind, schwierig und zum Teil auch Dinge tun, die ich nicht gut finde, die aber aus ihrer Situation heraus nach vollziehbar sind. Das alles hat mir "Zurück im Zorn" geboten, gepaart mit einer spannenden und interessanten Handlung. Für mich daher eine klare Leseempfehlung!