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Stetson und Tuch um den Hals und los in den Sonnenuntergang Hat sich John Williams mit dem Roman „Stoner“ bereits auf Anhieb in meine persönliche Buchschatz Highlight Liste geschrieben so war die Erwartung, an das nächste posthum veröffentlichte Buch von ihm relativ gering. Einen Stoner konnte er nicht mehr erschaffen. Doch stilistisch und dramaturgisch vermutete ich noch erhebliches Potential und wurde nicht enttäuscht. Im Gegenteil! Mit diesem Autor einen Ausflug in den wilden Westen zu machen war ein grandioses Abenteuer. Bestes Kopfkino! Allerbestes. Die Natur war greifbar. Sogwirkung. Die mit respektvoller Distanz beschriebenen Protagonisten blieben fremd und doch unangenehm vertraut. Allzu menschlich und detailiert schildert der Autor ihre Leidenschaft und Gier angesichts des von Menschenhand unberührten Paradieses in dem sie nach großen Strapazen angekommen sind. Eine Reise in das Wesen der Männer, abseits aller Romantik und Klischees. Erinnert Butcher’s Crossing stark an die großartigen Neo Western, die klotzenden Regisseure der siebziger Jahre an, den sprachlosen John Wayne, den von jeglichem feministischem Touch unberührten Machismo. Dabei bleibt Williams sachlich. Nie wird er wie Hemingway weinerlich pathetisch, oder gar überzogen heroisch, schwülstig angesichts dieser gewaltigen Naturkulisse und dem Kampf dieser Männer die auszogen um reich zu werden, dann aber um ihr Überleben kämpfen müssen. Eingangs kam ich mir vor wie im Drehbuch eines Sergio Leone Western. Bestes, aber karges, wortarmes Kopfkino in einer reinen Männerwelt in welcher Frau nur Zierat und schmückendes Beiwerk oder gar nicht vorhanden sind. Das Reinrutschen in die Geschichte gestaltete sich durch diese Westernatmosphäre, eindrücklich und sehr ausführlich beschriebene Landschaft und Stadt, etwas zähflüssig. Dann wurden die Figuren und Situation enger umrissen, deutlicher und die Sogwirkung war da. Ab S. 139 fing das packende Psychogramm dieser unterschiedlichen Zweckgemeinschaft durch äußere Ereignisse an interessant zu werden.Womöglich sollten potentielle Leser dieses Genre Western mögen. Sich zumindest darin zurechtfinden um diese wahnwitzige, altmodische Männerwelt die der Autor wiederauferstehen liess goutieren zu können. Die Beziehungen untereinander, die Machtkämpfe, die verschiedenen Intentionen die seine Figuren antreiben und ihre Verschiedenartigkeit sind derart fesselnd, schlüssig und spannend. Es ist atemberaubendes Lesen und Miterleben. Will Andrews, Stadtmensch, frisch von Harvard aufgebrochen in den Westen um im Western Kaff Butcher’s Crossing etwas zu suchen von dem er selbst nicht weiß wie es finden, denn er kann es nicht exakt formulieren: „Und er spürte, dass er sich danach sehnte, wie es ihn zuvor nach Wasser gedürstet hatte; er wusste, dass die Berge da waren, er konnte sie sehen, ahnte aber nicht welchen Hunger oder Durst sie stillen würden.“ „Die frische Luft füllte seine Lungen und verlieh ihm eine Energie, von der er zuvor nichts geahnt hatte." Andrews ist ein einsamer, pragmatischer Charakter. Diese Ähnlichkeit zu Stoner ist gegeben. Anders als dieser passt er sich an, schaut sich ab, entwickelt sich zurück statt weiter, getrieben vom Überlebensinstikt und etlichen anderen Instinkten die ihm zuvor noch unvertraut im Laufe seiner Entwicklung später zwar bewusst werden, aber unbenannt bleiben. „...,selbst abends, im Lager fasste er seine einfachsten Wünsche nicht mehr in Worte- deutete auf die Kaffeekanne, grunzte höchstens, wenn sein Name fiel, und Anweisungen bestanden aus kurzen Bewegungen mit Hand oder Arm, einem Zucken des Kopfes oder einem gutturalen Knurren aus tiefster Kehle.“ Dieses Unwohlsein an der Gesellschaft und Handlungen der Männer denen er sich angeschlossen hat erlebt er, lässt sich jedoch mitreissen. Fast bleibt ihm keine Wahl. Dies ist auch die Frage die die Lektüre von Butcher’s Crossing aufwirft. Welche Wahlmöglichkeiten bestehen für Menschen, wie nutzen sie sie, wie konnte es es zu diesem Massaker kommen welches die Zivilisation in die fast menschenleere unberührte Natur gebracht hat. Wird es der menschlichen Gier wegen immer so enden? Lauert der Steinzeitmensch unter der Oberfläche des dünnen Lacks der Zivilisation und Kultur, jederzeit bereit diese erneut hinter sich zu lassen? Williams stellt dem Leser diese Fragen. Die Vermutungen dazu überlässt er ihm selbst. Mein persönliches Fazit zur menschlichen Natur behalte ich für mich. Zieht eure Schlüsse selbst. Was bleibt ist ein großartiges, bildgewaltiges Buch mit Nachhall und authentischem Western Flair, gegen Ende in Cinemascope, welches die Leserschaft ganz sicher spaltet.