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sommerlese

Posted on 13.3.2020

Das muss man sich mal vorstellen! In einer Etagenwohnung mitten in Berlin werden in jedem Zimmer viele verschiedene Vögel gehalten. Da brütet eine Nachtschwalbe auf dem Teppich, ein Specht hackt Löcher in den Schrank und ein Mauersegler kreist durchs Wohnzimmer. Dieses Szenario ist kurios, aber wahr, es liegt fast 100 Jahre zurück. Der Zoologe und Direktor des Aquariums im Berliner Zoo Oskar Heinroth (1871–1945) widmete sich gemeinsam mit seiner Frau Magdalena dem Studium des Verhaltens von Tieren. In 28 Jahren zogen sie in ihrer Berliner Wohnung aus dem Ei ca. 1000 Vögel aus 286 Arten per Hand auf. Die Einzelheiten ihrer Beobachtungen hielten sie in Wort und Bild fest, es entstand das einzigartige Werk "Vögel Mitteleuropas" (1926–1933), mit dem die vergleichende Verhaltensforschung von Vögeln begründet wurde. Es fing ganz harmlos mit einer erfolgreichen Nachtschwalbenaufzucht an, sie legte den Grundstein für das Megaprojekt, dem sich die Heinroths Tag und Nacht widmeten. Oskar bekam und holte aus allen Ecken Deutschlands Vogeleier, um sie bei sich zuhause auszubrüten. Seine Frau Magdalena sorgte für die Fütterung und Säuberung der Nester, Käfige und der Wohnung. Diese Arbeit beschäftigte sie rund um die Uhr. Man mag es sich kaum vorstellen, was für ein wildes Treiben muss in der Wohnung geherrscht haben. Es kamen auch viele andere Naturkundler zu Besuch. Doch heute redet kaum jemand über die beiden Forscher. Das Ehepaar teilte die Begeisterung für Vögel und übte diese ungewöhnliche Tierhaltung über 30 Jahre aus. Oskar erkrankte an Asthma, das enge Zusammenleben mit den gefiederten Freunden war nicht ohne Folgen. Als Magdalena früh verstarb, fand Oskar seine zweite Frau, eine Doktorandin, die ihm bei seinem Buchprojekt zur Seite stand. Nach einführenden Kapiteln über das Leben, Arbeiten und Wirken der Heinroths und ihre Kontakte zu anderen Ornithologen, geht es im Buch auch um die Nazizeit und die Kriegsjahre. Danach folgen etliche Kapitel, die sich den verschiedenen Vogelarten widmen. Hühner, Enten- und Kraniche machen den Anfang, Störche, Möwen, Greifvögel, Spechte und abschliessend die Singvögel werden mit ihren Besonderheiten vorgestellt. Dazwischen gibt es immer wieder Fotoseiten, die von den Heinroths persönlich angefertigt wurden und die Vögel in verschiedenen Aufzuchtphasen und in ihrer Haltung und Fütterung zeigen. Man bekommt dank einiger Originaltexte und Zitate ein deutliches Bild von der Arbeit dieses Forscherpaares. Zitate, Literaturhinweise und ein umfassendes Register beschliessen dieses interessante Buch. Wer sich für Vogelbeobachtungen, - haltung und Aufzucht heimischer Vögel interessiert, bekommt hier viele Beispiele gezeigt und erkennt, welche enormen Ambitionen das Forscherpaar antrieb und in Vogelprojekten umsetzte. Dieses Buch zeigt die Ausmaße des kuriosen und enormen Forscherlebens der Heinroths. Ihre circa 20.000 Fotografien und Berichte füllten sagenhafte vier Buchbände, diese Bücher legten den Grundstein für die weitere wissenschaftliche Verhaltensforschung. Aus heutiger Sicht kann man nur staunen und die vielen beschriebenen Arten im Buch bewundern. Viele dieser Arten sind heute in ihrem Bestand stark bedroht und nur noch selten in der freien Natur zu sehen. Dieses unterhaltsame Buch zeigt Naturkunde aus nächster Nähe, stellt neben den Vogelarten und ihren Gewohnheiten auch das außergewöhnliche Leben und Engagement des Forscher-Ehepaares Heinroth vor. Ihre wissenschaftliche Arbeit ist eine Besonderheit und regt zum Nachdenken über das Verschwinden von Vögeln in Europa an. Denn viele damals noch häufige Vögel sind heute sehr selten. Ein sensationelles, biografisches Buch über Forschung, Vogelaufzucht und die Lebensgeschichte Oskar und Magdalena Heinroths, den Gründervätern der Verhaltensforschung. Selten habe ich bei einem Buch so sehr gestaunt und Forscher bewundert.

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