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geruede

Posted on 11.3.2020

Man darf sich durchaus als reich erachten, wenn man ein Exemplar dieses schönen Buchs sein eigen nennen kann. Denn „Das Wetterexperiment“ ist reich an historischem Wissen, das sich nicht lediglich auf die Biographie einer einzelnen historischen Person und deren wegweisenden Taten konzentriert, sondern eine Vielzahl von herausragenden Menschen behandelt, die sich alle auf die eine oder andere Weise dem Ziel verschrieben hatten, das letzte große Mysterium mit den Mitteln der empirischen Wissenschaft und der Universalsprache der Mathematik zu entschlüsseln. Dabei betrachtet Peter Moore die einzelnen Pioniere nicht getrennt voneinander, sondern führt dem Leser das faszinierende Wechselspiel gegenseitiger Beeinflussungen vor Augen, das bis hin zu wütenden Briefwechseln reichen konnte. „Das Wetterexperiment“ umfasst eine beachtliche historische Zeitspanne, die es aus vielerlei Gründen benötigte, um ein fundiertes Verständnis des Wetters und seiner Abläufe zu erlangen. Dementsprechend ist das vom MARE VERLAG liebevoll gestaltete und herausgegebene Werk reich an historischen Zitaten, Briefwechseln, Tagebucheinträgen, Zeitungsartikeln, Zeugenberichten und so fort, was das Eintauchen in diese faszinierende Epoche des ausgehenden Segelschiffzeitalters erleichtert. Geradezu einfühlsam versetzt der Autor Peter Moore den Leser zurück in eine Epoche, als Wetterprognosen eine derart phantastische Vorstellung waren, daß nur visionäre Naturforscher die sich ergebenden Möglichkeiten erahnen konnten, wogegen unverständigere Zeitgenossen, sie dafür nicht selten eines gotteslästerlichen Größenwahns bezichtigten. Da man nun bis weit in das 19. Jahrhundert hinein keinerlei Vorstellungen vom Aufbau der Atmosphäre und ihren Gesetzmäßigkeiten besaß, gab es ausreichend Raum für Spekulationen und Aberglaube. Stürme wurden damals noch als Strafe Gottes für ein zu lasterhaftes Leben betrachtet und nicht wenige Menschen zermürbte die Frage, warum Gott allzuoft Blitze in Kirchtüme einschlagen ließ, anstatt die niederen Spelunken heimzusuchen, wo man sich in der Regel doch leidenschaftlich den verwerflichen Lastern hingab. Nach und nach bekommt der Leser eine Vorstellung davon, wieviele klitzekleine Schritte rund um den Erdball von Nöten waren, um etwas so Selbstverständliches wie die Meteorologie überhaupt erst auf ihre Reise schicken zu können. In unseren heutigen, relativ abgehobenen Zeiten, in welchen die Forschung ein Niveau erreicht hat, daß ein Laie kaum noch mitzukommen vermag, tut es gut, die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens abermals aufgezeigt zu bekommen. Mehr noch führt uns Peter Moore mit den verschiedenen Leistungen wissenschaftlicher Pionierarbeit auf den unterschiedlichsten Gebieten zurück zu den Anfängen unseres wissenschaftlich geprägten Weltbilds und seines bodenständigen Strebens nach Erkenntnissen. Dabei bediente sich das genaue Beobachten und Beschreiben eines Wetterereignisses einer beeindruckend bildgewaltigen und geradezu poetischen Sprache, die man heute vergebens in den Wetterberichten der Zeitungen sucht, so daß das „Wetterexperiment“ auch und gerade für Sprachliebhaber dank der trefflichen Übersetzung von Michael Hein einen wahren Schatz darstellt. „Nie dämmerte ein hellerer Morgen als an diesem auf ewig unvergesslichen Maifeiertag. Der Himmel war blau, die Sonne schien im vollen Glanze, die Luft war kühl und doch angenehm, ganz wie ein Dichter sich einen Frühlingsmorgen wünschen mag. .. “ (S.298) „ … – mit wild zerklüfteten Wolken, aus denen es Feuer zu regnen schien, einem in Purpur gehüllten Regenbogen und den Pastelltönen im fernen Westen – …“ (S.320f) Gleichzeitig beinhaltet „Das Wetterexperiment“ aber auch abenteuerliche Episoden dieser längst vergangenen Zeit, wenn es beispielsweise den legendären Kommandanten Robert FitzRoy auf seiner akribisch festgehaltenen Reise um die Südspitze Südamerikas nachspürt oder sein Ringen mit einem überraschend hereinbrechenden Pampero unweit der Mündung des Río de la Plata beschreibt, der seinerzeit Schiff und Besatzung alles abverlangte. Da die Etablierung der Meteorologie nun einmal so lange dauerte, verwundert es nicht, daß die Akteure der ersten Stunde alt wurden, lange bevor die Aufgabe der Entschlüsselung der Atmosphäre abgeschlossen war. „Wer die schmale Gestalt [Beaufort] des alten Mannes sah, hätte nicht geahnt, was für ein Gigant der, der da im Dunst verschwand, geworden war.“ (S.321) Und als ob dies alles das Thema des Buches nicht erschöpfend behandeln würde, schenkt Peter Moore dem Leser zusätzlich noch kurze, praxisorientierte und gut verständliche Einführungen in alltägliche Abläufe von Thermik und Wolkenbildung. Die vier eingestreuten und bemerkenswert überschaubaren Einführungen zu meteorologischen Vorgängen unterteilt der Autor in die durchaus sinnvollen Abschnitte: Morgens, Mittags, Nachmittags und Abenddämmerung. Das schenkt dem Leser einen praktischen Bezug, den er selbst auf nahegelegenen Hügeln nachvollziehen kann. Denn neben vielen überaus faszinierenden Tatsachen habe ich vor allem gelernt, daß wir mit der Etablierung und Weiterführung der Meteorologie unendlich viel gewonnen haben. Und doch sind wir heute allzuoft nicht mehr in der Lage, wahrgenommene und als herausstechend erachtete Wetteransichten in angemessene Worte und Sprachbilder zu kleiden. – Ein Glück nur, daß die Kunst der digitalisierten Photographie so weit gediehen ist, daß sie diesen, unseren Verlust wie selbstverständlich ersetzt.

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