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Na, schon tot? „Ein Mensch lebt so lange, wie sich andere an ihn erinnern.“ „Je länger ich an meinen toten Vater denke, über dessen Leben ich viel zu wenig weiß, desto mehr sprechen seine Dinge zu mir. Von ihnen will ich, durch seine, durch unsere Wohnung gehend, in diesem Buch erzählen. Und von Vater.“ Rainer Moritz, ein Erfolgsautor, Herausgeber, Verleger und Chef des Hamburger Literaturhauses, nimmt seine Leser Schritt für Schritt mittels seines 2018 erschienen Romans ‘Mein Vater, die Dinge und der Tod‘ mit auf eine Erinnerungsreise durch seine Familiengeschichte. Im Fokus dabei steht sein Vater Kurt Moritz, der Anfang 2015 im Alter von 89 Jahren verstarb. Moritz schildert am Rande wie er vom Tod seines Vaters erfuhr und wie er sowie seine engsten Familienangehörigen, besonders seine Mutter, mit diesem Schicksalsschlag umgingen. Der Roman beginnt mit dem Anruf der Mutter, die Rainer Moritz über den Tod seines Vaters informiert und damit die gesamte Gefühls- sowie Gedankenwelt der Charaktere aufwühlt. „Was bleibt?“ Mit dieser Frage beschäftigt sich das Buch und liefert auch sogleich eine Antwort: Alltagsgegenstände. Jeder noch so kleine und banal wirkende Alltagsgegenstand aus dem Leben des Verstorbenen, aus dem Alltag der Familie, vermittelt unterschiedlichste Erinnerungen, die mit der jeweiligen Person in Zusammenhang standen. So gibt es beispielsweise den Sessel mit bereits abgewetzten Armlehnen, in dem der Vater seine Fußballleidenschaft allabendlich auszuleben pflegte. Die Musikanlage, die zur Entspannung des Vaters beitrug und ihm einen heiteren Gesichtsausdruck zauberte, besonders dann, wenn er seine liebsten Opern- und Operettensänger hörte. Der Aschenbecher erinnert an das elegante, kreisende Geräusch, dass der Vater stets beim drücken des roten Knopfes auslöste, um den Mechanismus der rotierenden Scheibe auszulösen, der die Zigarette verschwinden ließ. In einer Vielzahl von Alltagsgegenständen, mal größer, mal kleiner, beschreibt Rainer Moritz auf sehr persönliche Art und Weise von seiner emotionalen Bindung und den Erinnerungen an seinen Vater. Auch der Beziehung seiner Mutter zu seinem Vater schenkt Moritz einige Aufmerksamkeit und rekonstruiert anhand derer das Leben seines Vaters. Dabei scheint er nichts auszusparen und schildert sowohl negative als auch positive Erinnerungen, was beim Leser Empathie auslöst und deutlich dazu beiträgt, ihn mitzunehmen. Dabei richtet sich der Roman sowohl an die Eltern- als auch an die Kindergeneration und beschreibt eine völlig normale Eltern-Kind-Beziehung. Eine Eltern-Kind-Beziehung im Wandel der Jahre, wie es ein jeder kennt. Es eröffnet sich dem Leser eine wunderbare Möglichkeit, Rainer Moritz auf dem Weg durch seine gemeinsame Vergangenheit mit seinem Vater zu begleiten und sich dabei auch intensiv mit sich und seinen eigenen, vielleicht schon erlebten Verlusten zu befassen. Welche Dinge sind es, die einen in Erinnerungen an einen verstorbenen Liebsten schwelgen lassen? Und besonders: Welche Dinge werden andere einmal an mich erinnern? Moritz, Rainer: Mein Vater, die Dinge und der Tod. Verlag Antje Kunstmann, München 2018. 192 Seiten, 20 Euro.