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Babscha

Posted on 10.3.2020

Fukú, die Vorsehung, das Unheil, der Familienfluch. Ist es diese Heimsuchung, die sich wie ein roter Faden schicksalhaft und von Generation zu Generation durch das Leben ganzer Familien, also auch der von Oskar, zieht und deren Geschicke unausweichlich bestimmt? So scheint es wirklich. Oskar de Léon, ein Junge, zusammen mit seiner fest im Leben stehenden älteren Schwester Lola und der allein erziehenden Mutter im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts aus der Dominikanischen Republik nach New Jersey emigriert, ein Nerd, ein Einzelgänger, fett, hässlich, von allen verlacht, ein Leben in Büchern und PC-Spielen, einsam, zutiefst sensibel, intelligent, mit goldenem Herzen und immer, immer auf der Suche nach der großen Liebe, die sich aber beim besten Willen nie einstellen will. Und die Zeit vergeht… In seinem wunderbaren, aufwühlenden und fesselnden Familienepos entführt Diaz, selbst gebürtiger Dominikaner, den Leser in eine karibische, vom Glauben an Magie und höhere Mächte beherrschte Welt, aber auch in die erschreckenden Niederungen eines schon immer bettelarmen, von despotischen Machthabern unterdrückten und ausgebeuteten Inselstaats, in dem Menschenleben nicht viel zählen. In geschickt verschachtelter Erzählung lässt er uns abtauchen in die über Jahrzehnte und Generationen hinweg erzählte Geschichte der vom Schicksal geschlagenen Familien Cabral und de Léon und fügt bis zum unausweichlichen Ende gekonnt alle Mosaiksteine nach und nach zu einem so stimmigen Gesamtbild, dass trotz aller Schrecken, die das Buch bietet, nach den letzten Seiten –zumindest war es bei mir so- eine Zufriedenheit, ja geradezu ein Hochgefühl, verbleibt, wie ich es lange Zeit nicht mehr beim Zuklappen eines Romans verspürt habe. Der Clou des Buches liegt eindeutig in der Herausarbeitung der Gegenpole einer Rückzugsidylle der Karibik und ihrer Menschen voller Fukú einerseits und dem gerade für Oskar hammerharten Überlebenskampf in der Welt der amerikanischen Gegenwart andererseits, ebenso in den ideenreich und sorgfältig ausgearbeiteten, nach und nach in Rückblenden vorgestellten Geschichten der einzelnen Familienmitglieder, eingebettet in die tatsächlichen politischen Geschehnisse in dem Inselstaat vor allem unter der Trujillo-Diktatur Mitte des letzten Jahrhunderts. Und natürlich im brillanten Sprachvermögen des Autors, der sich an diversen Stellen des Buches über Fußnoten mit seiner ganz persönlichen Sicht der Dinge direkt in den Kontext einbringt. Unzählige unauffällig in den Text eingestreute Zitate aus neuzeitlicher Literatur und aus Filmen tragen das ihre zum Sprachwitz bei. Absolute Leseempfehlung.

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