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Babscha

Posted on 10.3.2020

Pelle Sandstrak ist elf Jahre alt, als er merkt, dass mit ihm irgend etwas nicht stimmt. Harmlose Sinneseindrücke wie ein über die Stadt fliegendes Flugzeug, wiederkehrende Geräusche im Klassenzimmer und der Anblick der Farbe Rot lösen in ihm unkontrollierbare Panik- oder Wutattacken aus, die seinen Kopf nahezu bersten lassen und denen er nur mit Flucht und absolutem Rückzug in sich selbst begegnen kann. Gleichzeitig gerät sein Leben mit ständig zunehmender Tendenz in den Griff von Tics, zumeist aggressiven ungewollten Verbalangriffen gegen seine Umwelt und –am allerschlimmsten- einen unaufhörlichen Druck zur Ausführung von ritualisierten und zwanghaften Handlungen. Seine verzweifelten und mit erschreckender Aggression gegen seinen eigenen Körper ausgelebten Versuche, dieser ganzen Situation Herr zu werden und seine psychotischen Ausbrüche zu unterdrücken oder zu verheimlichen, scheitern. Nach Jahren der Qual, einer nicht abgeschlossenen Schullaufbahn, dem Verlust diverser Jobs und zuletzt völliger sozialer Isolation und Verwahrlosung eskalieren die Dinge so sehr, dass sein Körper rund um die Uhr und ohne Pause Zwangshandlungen ausführen muss. Das Überschreiten einer Türschwelle, Duschen oder der Kleidungswechsel werden nahezu unmöglich, dauern Stunden und können nur in völlig ritualisierter Form ausgeführt werden, womit Pelle am Ende jeder Mobilität beraubt wird. Nichtsdestotrotz gibt er sich nie auf und glaubt immer an eine Besserung, irgendwann, irgendwie. Und wider aller Erwartungen erfährt er eines Tages durch Zufall den Grund dafür, warum er so ist, wie er ist: er leidet am Tourette-Syndrom und: er ist nicht allein. Mit Hilfe von spezialisierten Therapeuten und eiserner Willensanstrengung gelingt es ihm im Laufe vieler Jahre, zu einem halbwegs normalen und lebenswerten Leben zurück zu kehren. Der 1965 geborene Autor gewährt dem Leser in seinem Buch in schonungslos drastischer, absolut offener und ehrlicher Form tiefe Einblicke in die unglaubliche Welt eines Touretters, die kaum vorstellbar und von üblichen „Zwangsneurosen Normalsterblicher“ Lichtjahre entfernt ist. Gleichzeitig schafft es Sandstrak, den Leser mit seinen streckenweise absolut schrägen und wortwitzigen Schilderungen des permanenten Zusammenpralls von Tourette mit Umwelt immer mitzunehmen auf seiner Reise ins Ungewisse. Ein fesselndes Buch, an dem man dran bleibt und das man in dieser Form noch nicht gelesen hat. Sehr schön sind die vielen integrierten Fotos des Autors aus den einzelnen, im Buch erzählten Stationen seines Lebens. Unbedingte Leseempfehlung.

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