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Glitzer

Posted on 10.3.2020

Worum geht’s? Dr. Alexander Stevens ist Fachanwalt für Strafrecht, seit Jahren in Deutschland praktizierender Strafverteidiger und zudem aus dem TV bekannt, unter anderem in seiner Rolle bei Richter Alexander Hold. Stevens hat bereits mehrere Bücher im Real Crime Sektor veröffentlicht, bei denen er von seinen Erfahrungen mit der deutschen Justiz berichtet. In seinem Buch „Aussage gegen Aussage“ möchte er anhand von 7 ausgewählten Fällen die Problematiken aufzeigen, die der Zeugenbeweis mit sich bringt. Denn was tun, wenn es Aussage gegen Aussage steht? Mit umfassenden Erklärungen und Einblicken in die Wissenschaft rund um Glaubwürdigkeit veranschaulicht der Autor, womit zahlreiche Richter täglich zu kämpfen haben. Schreibstil / Gestaltung Das Cover zeigt den Autor in schwarzem Anzug vor einem schwarz-weißen Hintergrund, sinnbildlich für die beiden Seiten von Aussage gegen Aussage. Es ist ein zurückhaltendes, aber dennoch passendes Cover. Es gibt auf den ersten Blick keinen Hinweis, dass es sich um ein Crime-Buch handelt, lediglich der Untertitel „Urteil OHNE Beweise“ könnte darauf hindeuten. Nach einem knappen Vorwort zur Einleitung folgen die 7 Fälle, die kapitelweise aufgearbeitet sind. Innerhalb der Kapitel stellt der Autor den Fall vor, entweder durch das Vorstellen der Aussage oder der Umstände und führt dann später im Verlauf dazu aus, auf welchen Aspekt er zu sprechen kommen möchte. Von Themen rund um Voreingenommenheit, die Schwierigkeit mit kindlichen Zeugen, Suggestivfragen bis hin zur Problematik um die freie Beweiswürdigung durch Richter sind vielseitige Thematiken Gegenstand des Buches. Die Ausführungen werden teils auch wissenschaftlich untermauert und die Ideen hinter den Erwägungen und ihre tatsächliche Bedeutung erklärt. Der Autor verrät jeweils auch den Ausgang des Prozesses. Das Buch schließt mit einem kurzen Nachwort. Der Schreibstil ist relativ locker, gut verständlich und der Autor spricht den Leser oftmals auch direkt an, etwa durch (rhetorische) Fragen. Jeder Fall ist anders aufgebaut und beleuchtet andere Aspekte rund um die Frage der Wahrheitsfindung. Die Ausführungen sind zwar teils wissenschaftlich, verlassen jedoch nie den Bereich des Verständlichen. Der Autor war sehr bedacht darauf, alles verständlich und nachvollziehbar zu erklären. Mein Fazit Alexander Stevens ist mir bereits dank seiner anderen Bücher bekannt, ich habe sowohl Sex vor Gericht als auch 9 ½ perfekte Morde gelesen und durchaus gemocht. Der Autor hat eine recht entspannte, nicht allzu sachliche Art, durch seine Bücher zu führen. Daher war ich durchaus gespannt, wie er sich mit dem schwierigen Thema rund um kritische Situation der widersprechenden Zeugenaussagen beschäftigt. Nach einem sehr kurzen Vorwort, wo der Autor ein wenig dazu ausführt, was die Idee hinter dem Buch ist, geht es direkt mit dem ersten Fall los. Das Buch umfasst 7 Fälle, allesamt aus dem deutschen Raum, reale Fälle aus dem deutschen Gerichtsalltag. Thematisch sind die Fälle primär im Bereich Sexualstrafrecht und Gewalt- bzw. Tötungsdelikte angesetzt. Nur ein Fall tanzt aus der Reihe, hierbei geht es um ein Strafverfahren gegen einen Anwalt, der in den Augen des Gerichts falschen Vortrag gemacht hat. Die Auswahl der Fälle ist in meinen Augen zwar gelungen, da die Fälle durchaus interessant sind und verschiedene Schwerpunkt abdecken, zugleich hätte ich mir etwas mehr Abwechslung in den Delikten gewünscht. Klar zieht Mord und Sex immer und vor allem im Sexualstrafrecht liegen typischerweise die größten Probleme in der Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, aber das Strafrecht hat mehr zu bieten. Die Fälle sind mit viel Herzblut aufgearbeitet. Es werden zahlreiche Punkte eingeführt und es steht dem Leser zu jeder Zeit frei, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Teilweise animiert der Autor bewusst auch dazu, sich ein Urteil zu bilden. Es führt verschiedene Möglichkeiten des Verfahrensausganges an, erklärt die relevante Beweislage in Bezug auf jedes Variante und präsentiert dann das Endergebnis. Es wird so manche Überraschungen geben, manchmal aber auch nicht. Auf dem Weg zur Aufklärung gibt es sehr interessante Einblicke hinter die Kulissen des Strafrechts und des Gerichtsalltags. Es wird ausführlich erklärt, was Suggestivfragen sind, es gibt Einblicke in den „Kriterienkatalog“ für Aussagen und die Erklärung, wieso der so nicht wirklich hilfreich ist, es geht um das Summieren von Aussagen, Zeugen von Hörensagen und die Zweifel am Beweismittel Zeuge. Denn Zeugen sind von Natur aus ein schwieriges, beeinflussbares, unsicheres und unstetes Beweismittel. Der Autor hat hier gute Arbeit geleistet, ist informativ ohne zu erschlagen, erklärt ohne zu belehren. Durch die recht übersichtliche Kapitellänge von zumeist 30-40 Seiten kann man wohldosiert das Buch genießen. Ich habe meist 1-2 Fälle am Abend gelesen. Das im Buch Gesagte ist natürlich auch geeignet, einiges an Angst zu schüren, der Autor gibt sich aber große Mühe, alles so verständlich und greifbar zu erklären, dass es einen zwar nachdenklich stimmt, aber zumindest nicht beunruhigen sollte. Naturgemäß landen in solchen Büchern ja nur Grenzfälle, die unproblematischen Themen ja nicht. Das sollte sich der Leser auch stets vor Augen halten. Die angeführten Lehren von Glaubwürdigkeit, Lügen, Beeinflussung und Prozesstaktiken sind jedenfalls geeignet, auch im Alltag Anklang zu finden. Man kann das ein oder andere an Information mitnehmen, was einem helfen könnte oder den Blick etwas schärft, ohne im Strafrecht tätig zu sein. Das hat mir sehr gut gefallen und ist neben den durchaus interessanten Fällen ein guter Bonus des Buches. Durch die freie Gestaltung und der Auflösung am Ende hat der Leser zudem die Möglichkeit, etwas „mitzuraten“, wobei der Autor natürlich hier und da direkt und indirekt auf die Lösung hindeutet. Was mir nicht ganz so zugesagt hat, ist, dass der Autor im Buch teilweise wild verweist. Regelmäßig bezieht er sich auf bereits vorangestellte oder später folgende Kapitel, was ich etwas störend fand, insbesondere wenn die Kapitel noch kommen. Da kam ich mir manchmal so vor, als würde der Autor dem Leser nicht zutrauen, behalten zu haben, was bereits kam. Nach hinten verweisen ist zudem immer schwierig, wenn der Leser an dieser Stelle bereits gerne etwas erfahren möchte, aber warten soll. Ebenfalls hat mich teilweise die Art des Autors gestört, die mir in den anderen Büchern bisher nicht so präsent herüberkam. Es wird fleißig offenkundig oder zwischen den Zeilen gegen alle Justizbeteiligten geschossen – außer gegen die Strafverteidiger. Diese Seitenhiebe hätte es sicher nicht gebraucht, insbesondere da Herr Stevens ja selbst manchmal feststellen darf, dass die festgestellte – und von ihm verteidigte – Wahrheit nicht die tatsächliche Wahrheit sein muss. Jeder in diesem Justizuniversum hat einen harten, schwierigen Job und sicher kann man ankreiden, dass nicht alles Gold ist, was glänzt, dennoch sollte man auch anerkennen, dass alle Beteiligten nicht frei von Fehlern sind. Insgesamt ist „Aussage gegen Aussage“ erneut ein starkes Buch des Autors mit interessanten und vielseiteigen Einblicken. Der Leser kann vereinzelt Lehren aus dem Gesagten mitnehmen. Der lockere Schreibstil fängt den Leser schnell ein und die nachvollziehbare Darstellung von Fällen und Lehren sind für alle geeignet, egal ob juristisch visiert, Gelegenheits-Leser oder Real-Crime-Neuling. Das Buch ist kurzweilig und in meinen Augen keine schwere Kost wie manch andere Bücher aus dem Real Crime Bereich. Gutes Buch für Zwischendurch! [Diese Rezension basiert auf einem Rezensionsexemplar, das mir freundlicherweise vom Verlag überlassen wurde. Meine Meinung ist hiervon nicht beeinflusst.]

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