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Babscha

Posted on 9.3.2020

Das Portrait einer amerikanischen Mittelschichtfamilie über einen Zeitraum von einem halben Jahrhundert. Da sind die Eltern, Walter und Patty Berglund, beide aus kalten bis problematischen Familienverhältnissen, in denen auf seiner Seite Alkohol und Geldknappheit, auf ihrer Gleichgültigkeit und Zynismus regieren. Nach Heirat in bereits jungen Jahren entwickelt sich Walter im Laufe der Jahre zunehmend zum verbohrten Umweltaktivisten mit teils lebensfremden Idealen, während Pattys Stern zunächst als Basketballstar hell leuchtet, mit der Zeit und an Walters Seite jedoch zunehmend in einer Welt aus innerer Verbiesterung und krankhafter Missgunst, in Selbstmitleid und Depression versinkt. Aus dieser netten, von einer ganz speziellen Hassliebe getragenen Verbindung entspringen die Kinder Joseph und Jessica, er Mutters Liebling, Egozentriker, Organisationsgenie und Lebenskünstler, sie ein ernsthaftes, stilles Mädchen mit ausgesprochenem Gerechtigkeitssinn und Harmoniebedürfnis. Die komplizierten Beziehungen dieser Personen untereinander und im Wechselspiel mit diversen weiteren Protagonisten bilden die Plattform der erzählten hochkomplexen Familiengeschichte. Wider jede Erwartung hat mich das Buch leider nicht in dem erhofften Maße beeindruckt. Dafür ist es zum einen viel zu lang geraten; wiederholte endlose und Franzen-typisch ausgewalzte Ausführungen zu umweltpolitischen und ornithologischen Sachzusammenhängen ohne direkten Bezug zum Buch lassen den eigentlichen, treibenden Handlungsstrang zerfasern und machen die Lektüre streckenweise ermüdend, wenn nicht gar langweilig. Man bekommt das Gefühl, als wollte sich der Autor hier regelrecht den Kopf „leerschreiben“. Für die Wucht eines echten Familienepos fehlt –ganz im Gegensatz zu seinen brillant geschriebenen „Korrekturen“- hier einfach auch die Tiefe und wirkliche Tragik der einzelnen Hauptpersonen, die zumeist und vor allem in der Figur der selbsternannten „Märtyrerin“ Patty offensichtlich immer nur triebgesteuert reagieren können (Sex als roter Faden des Buches) und damit irgendwie vorsehbar, eindimensional und weitgehend blass rüberkommen. Das nimmt dann leider auch der eigentlichen, von der Idee intelligent inszenierten Kernstory, nämlich der schwierigen Dreiecksbeziehung zwischen Patty, Walter und dessen Jugendfreund Richard, zunehmend ihren Reiz. Ungeachtet dessen beweist Franzen aber auch in diesem Buch zumindest streckenweise wieder seine schriftstellerische Klasse, insbesondere in den Dialogszenen zwischen den Eheleuten, ein lebensnahes Abbild der komplizierten Kommunikationsstrukturen einer heutigen Beziehung in der permanenten Zerreißprobe des Auslebens guter wie schlechter Charaktereigenschaften. In der Gesamtbewertung von mir 3 Sterne für ein Buch, dessen Lektüre sich trotz allem durchaus lohnt, jedoch zumindest bei mir großen Durchhaltewillen (wie selten) erforderte.

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