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Babscha

Posted on 9.3.2020

Die Rückkehr des Hildegunst von Mythenmetz. Nach über zweihundert Jahren. Nach Buchhaim, der sagenhaften zamonischen Stadt der Träumenden Bücher, in und unter der er damals seine halsbrecherischen Abenteuer mit den Bücherjägern und den vielen anderen kuriosen Zeitgenossen und Geschöpfen erlebte und der er in einem Feuersturm zuletzt mit knapper Not entronnen war. Nach vielen Jahrzehnten des guten Lebens als gefeierter Dichterfürst auf seinem Rückzugsort, der Lindwurmfeste, die ihn sowohl träge und fett wie auch orientierungslos und realitätsfremd haben werden lassen und sogar dazu führten, dass er das Orm verloren hat, ist es erneut ein mysteriöser Brief aus den Buchhaimer Katakomben, der ihn aus seiner Lethargie reißt und an den halb vergessenen Ort des Schreckens zurück treibt. Und was erwartet ihn dort? Eine neu erbaute, moderne Metropole, in der nur noch wenige düstere Hinterlassenschaften an die seinerzeitige Katastrophe erinnern und in der sich der so liebenswerte wie egozentrische und umständliche Mythenmetz anfänglich nur schwer zurecht findet. Schnell wird ihm klar, dass der Zug der Zeit schon lange an ihm vorbei gefahren ist und sein dichterisches Gesamtwerk nur noch in der sentimentalen Verklärung eines großen, jedoch inzwischen abgehalfterten Dichters gewürdigt wird. Ein Wiedertreffen mit alten Weggefährten wie dem Eydeeten Ben Kibitzer und der Schreckse Anazazi, die ihm die neue Welt in vielfältiger Weise nahe bringt, erweist sich als Labsal für seine geplagte Seele. Während er immer tiefer in das vielfältige künstlerische Leben der pulsierenden Stadt abtaucht, wird ihm jedoch nur ansatzweise bewusst, dass sein Weg ihn zuletzt unaufhaltsam erneut in die beklemmende Welt des unterirdischen Labyrinths unter Buchhaim führen wird. Moers legt mit seinem Buch die stimmige und gelungene Fortsetzung des Romans „Stadt der Träumenden Bücher“ vor und brilliert auch hier wieder mit einer Ideenvielfalt, einer Fantasie und einem Wortwitz, die ihresgleichen suchen. Vor allem die Umsetzung der diesmal erkennbar am realen Leben orientierten Themen wie z. B. Nichtraucherschutz oder Fastfoodmüll in seine fiktive Stadt bereitet großen Lesespaß. Die Figur des hypochondrischen Hildegunst ist wie gewohnt schön akzentuiert mit Ecken und Kanten, ein echter Sympath, dieser Lindwurm. Wermutstropfen ist aus meiner Sicht die in ihrer Vielfalt und Tiefe einfach zu breit ausgerollte Welt der die gesamte Stadt beherrschenden „Puppenspielerei“ mit ihren Theatern und hier insbesondere der über diverse Kapitel episch beschriebene Besuch des Puppaecircus Maximus, in dessen Verlauf quasi der Inhalt des gesamten ersten Bandes noch mal nacherzählt wird. Dies lässt den Spannungsbogen im Mittelteil des Buches leider deutlich abflachen. Für einen abgeschlossenen Roman wäre der „Actionanteil“ des Buches für mich damit eindeutig unzureichend gewesen. Versöhnen kann jedoch, dass Moers zum Ende hin das Tempo nochmal rasant anzieht und mit einem geschickten cliffhanger auf den zu erwartenden weiteren Folgeband verweist, in dem dann hoffentlich die Ouvertüre des vorliegenden Bandes wie angekündigt zum furiosen Crescendo gesteigert wird. In der Gesamtbewertung sehe ich insgesamt vier Sterne.

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