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Babscha

Posted on 5.3.2020

Richard ist neun, als die Dinge vollends aus dem Ruder laufen, sich sein Lebensweg endgültig und unaufhaltsam zu neigen beginnt und in eine haltlose Rutschbahn verwandelt. Seine Mutter, Prostituierte, wandert wegen Drogenbesitzes ins Gefängnis, er ins Kinderheim und seine jüngere Halbschwester Ingrid in eine Pflegefamilie. Alle Kontakte reißen ab, jeder kämpft um sein eigenes Überleben. Als Erwachsener schlägt sich Richard bindungsunfähig und ohne Freunde als Türsteher im halbseidenen Milieu einer norddeutschen Großstadt durch und lässt die Jahre wie in einem Vakuum gefangen an sich vorbei ziehen. Bis sich 25 Jahre später Ingrid plötzlich bei ihm meldet und fragt, ob er seine im Sterben liegende Mutter noch einmal sehen möchte. Der Autor schmeißt den Leser ohne lange zu fackeln sofort rein in die Geschichte. Mal hart und abgeklärt, mal melancholisch, hilflos und um Worte ringend, erzählt Richard auf permanent wechselnden Zeitebenen dem Leser seine Lebensgeschichte selbst. Und das macht er genau so traurig wie großartig. Er erzählt von einer fürchterlichen Kindheit mit einer gefühlskalten Mutter, die die Brutalität ihres Zuhälters nahtlos an ihre Kinder durchreicht, von prägenden Erlebnissen auf nächtlichen Straßen und ungezählten kurzen Affären. Es formt sich das Bild eines schwer traumatisierten, passiv durchs Leben taumelnden Mannes ohne jede eigene Entscheidungskraft, der alles nimmt, wie es kommt und an sich selbst so etwas wie Emotionalität oder Wut nur ansatzweise in gefährlichen, eskalierenden Situationen bei der Ausübung seines Jobs feststellt. Ein Mensch, der sich selbst bis ins Letzte verleugnet. Ein intensives, trauriges, streckenweise sprachgewaltiges Buch mit starken Bildern, eine echte Überraschung und Leseempfehlung.

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