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Babscha

Posted on 5.3.2020

In Kingsville, Ohio wird eine junge Frau vermisst. Sie heißt Kim Larsen, ist achtzehn Jahre alt und nach einem Nachmittag mit Freunden am Lake Erie nicht auf ihrer Arbeitsstelle angekommen. Familie, Freunde wie auch Polizei und Medien setzen zunächst alle Hebel in Bewegung, aber sie bleibt wie vom Erdboden verschwunden. Nach einiger Zeit und immer noch keinerlei heißer Spur macht sich allgemein Resignation breit. Einzig ihre Eltern werden nicht müde, die Suche weiter und weiter am Leben zu halten. Bis zum bitteren Ende. Unaufgeregt wie immer und mit all der seinen Schreibstil auszeichnenden, fast beiläufigen, aber hellwachen und messerscharfen Präzision in der Schilderung des Lebens ganz normaler Leute beschreibt O`Nan hier die grauenhafte, unerträgliche Extremsituation einer Familie, der von jetzt auf gleich ein Mitglied einfach so entrissen wird und die in ihrer Angst und ihrem Kummer nicht mehr ein noch aus weiß. Während Ed, der Vater, nach außen hin Stoiker, seine Wut und Verzweiflung in sich hinein frisst und nur roboterhaft agiert, verfällt seine Frau Fran in einen Aktionswahn und setzt Himmel und Hölle in Bewegung. Kims jüngere Schwester Lindsay ist fünfzehn, hat ihre ganz eigenen Probleme und lässt das Geschehen erstarrt wie einen Film an sich vorbei ziehen. Und dann sind da noch Kims beste Freundinnen Nina und Elise mit den zugehörigen Jungs der Clique, alle fertig mit der Schule und unmittelbar vor dem Absprung ans College, verbunden in einer ziemlich ungesunden Mixtur aus Drogen, Alkohol, Eifersucht und Misstrauen. Die Qualität des Romans liegt zum einen in dessen ganz speziellem Erzählstil mit willkürlichen Einblendungen in die Köpfe und Gedanken seiner einzelnen Protagonisten, die den Leser fordern und mitnehmen auf der Suche nach der Wahrheit und einem möglichen Täter. Was ihn jedoch wirklich ausmacht, ist nicht die Ebene des Thrillers, sondern das hautnahe Miterleben eines Dramas, wie eine über Jahre dauernde Ausnahmesituation eine Familie und ihre Mitglieder komplett verändert, wie sich die einzelnen Beteiligten mit der unabänderlichen Situation arrangieren lernen, der eine besser, der andere schlechter, jeder für sich allein wie auch in seiner Verbindung zu den anderen. Und gerade die lakonische abgeklärte Erzählweise des Autors schafft es, beim Leser zwar Mitleid und Betroffenheit zu wecken, ihn aber dennoch emotional ganz eigentümlich berührt zurück zu lassen. Aber vielleicht ist das bei einer solch extremen Thematik irgendwie auch der beste Weg. Ein hochintensives, aus meiner Sicht großartiges Buch. O´Nan eben.

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