Babscha
Die Außenwelt: 2031. Einiges hat sich verändert. Klima und Umwelt laufen unaufhaltsam auf die ultimative, lang erwartete Apokalypse zu. Dauerhitze, Stürme und sonstige Unbillen der Natur bestimmen das tägliche Geschehen. Auch in Europa haben sich mittlerweile die gesellschaftlichen Verhältnisse komplett destabilisiert. Religiöse Splittergruppen, Fanatiker, Spinner und unbeirrte Selbstdarsteller halten mit voller Kraft auf das Ende aller Tage zu und bekämpfen sich derweil bis aufs Blut. Und da ja sowieso alles den Bach runtergehen wird und die Medizinforschung mittlerweile soweit ist, schadet es dann auch nicht, sich noch im Greisenalter mit hochdosierten Verjüngungspillen auf den optischen und genetischen Stand der Jugend zurück zu versetzen. Warum auch nicht. Es noch mal richtig krachen lassen, bevor´s dann wirklich knallt. Da ist das ultimative Krebsrisiko dann auch egal. Und in Deutschland regiert der Staatsfeminismus mit Frauen in allen relevanten politischen Positionen und einer geduldeten männlichen Bundeskanzlerin. Die Männerwelt ist abgehängt, bedeutungslos. Der Bachelor? Ein Mann von vorgestern, ein Relikt. Die Innenwelt: Sebastian Bürger, in der Realität bereits um die Siebzig, aber mittels seiner Pillen auf Anfang Zwanzig getrimmt, geschiedener Vater zweier schulpflichtiger Kinder, ist der Icherzähler dieses Buches. Lebt völlig frustriert, desillusioniert und allein wieder in seinem Elternhaus in einem Kaff in der Nähe von Hamburg und gibt sich aggressiven Tagträumen über die Wiederauferstehung des männlichen Geschlechts hin. Ein in jeder Hinsicht rückwärts gerichteter Mann, der sich der mittlerweile überbordenden Technik des Lebens komplett verweigert und sowohl sich wie auch sein Heim sukzessive in die Welt der 60er und 70er Jahre zurück versetzt. Sein Geheimnis: Ein Verlies im Keller seines Hauses, in dem er seit zwei Jahren seine Ex-Frau, seinerzeit Ministerin auf dem Weg nach ganz oben und offiziell als verschollen gehandelt, angekettet gefangen hält und, so wie es ihm gefällt, zur Aggressions- und Triebabfuhr endlos drangsaliert und erniedrigt. Bis er dann eines Tages seine große Jugendliebe wieder trifft und das Drama erst richtig beginnt. Die Meinung dazu: Ein recht zwiespältiges Buch mit Licht und Schatten. Ganz gut gefallen hat mir die ausgebreitete Utopie eines Matriarchats, in dem in Umkehrung der bisherigen Verhältnisse die Männer um Anerkennung und Wiedererlangung von Bedeutung kämpfen, spezientypisch vornehmlich mit offener Auflehnung und brachialer Gewalt. Gleichzeitig dann die herrschende Kaste der Frauen, die seitens der Autorin hier zwar eher subtil, aber in doch zufrieden stellendem Maße ebenfalls ihr Fett weg kriegen. Soweit also zumindest in etwa empfundene Ausgeglichenheit und zum Glück kein undifferenziertes einseitiges Angeprangere. Highlight des Buches für mich das Kapitel, in dem sich der 1981er Abijahrgang nach 50 Jahren zum Jubiläumstreffen in einer Hamburger Kneipe versammelt, wo dann Menschen aller optischen Altersklassen aufeinanderprallen und lebensphilosophieren, je nach Dosis der eingeworfenen Tabletten aussehend wie gerade schulentlassen, in den besten Jahren, oder auch realitätsnah als Echtrentner. Das bereitet ziemlichen Lesespaß. Gelungen, engagiert und glaubhaft auch die seitens der Autorin immer wieder, mal zwischen den Zeilen, mal offen angeprangerten gesellschaftlichen Missstände jeder Couleur, die natürlich in so einer story gut platzierbar sind. Da nimmt sie in der harten, kompromisslosen Sprache des Buches wahrlich kein Blatt vor den Mund. Gut so. Schön auch die über die Spleens der Hauptperson transportierten, leicht verklärten Rückblicke auf Mode, Musik und sonstigen Firlefanz der Jahrzehnte, die so mancher Leser noch gut in Erinnerung haben dürfte. Was in dem Roman auf neudeutsch aber einfach too much ist und für mich mindestens einen Stern Abzug kostet, ist die unerträgliche eingebaute story mit der gefangen gehaltenen Ex im Keller. Klar, über die dortigen, meines Erachtens mit einfach übermäßiger Brutalität erzählten Geschehnisse erklärt sich nochmal der ganze Wahnsinn und Minderwertigkeitskomplex des voll gestörten Hauptprotagonisten. Aber von diesem Schauplatz auf gefühlten zwei Drittel aller Seiten bis in epische, sich wiederholende Einzelheiten zu berichten, hätte es hier gar nicht bedurft. Da hätte es mir als Leser viel mehr Spaß gemacht, noch mehr von der oberirdischen Szenerie dieser Tage zu erfahren, für die die dystopische Rahmenhandlung ja eine gute Grundlage geliefert hätte. Irgendwann fühlte ich mich nur noch genervt, davon zu lesen, wie dieser Psycho sich in seinem Verlies austobt. Schade drum. Insgesamt aufgrund seiner visionären Kraft und des überwiegend recht nah an der Lebensrealität bzw. der tatsächlich zu erwartenden nahen Zukunft liegenden Grundthemas ein mit Abstrichen empfehlenswertes Buch. Zumindest der showdown war dann auch ganz gut gelungen. Der ganze "Kellerhorror" wäre allerdings voll verzichtbar gewesen.