Babscha
Der Vater: Es ist Jahre her, dass ich bei meinem Vater den letzten Wutausbruch ausgelöst habe. Ich habe sie vor langer Zeit zu umschiffen gelernt. Ich lenke das Gespräch ... auf kein Thema, das sich, und sei es noch so entfernt, mit meiner Mutter in Verbindung bringen lässt. Ich stichle nicht und stecke Sticheleien mit einem Lächeln ein; ich behalte meine Gedanken und Meinungen weitestgehend für mich. Ich stelle Fragen. Ich mache mich nützlich. Ich rede nicht über meine Interessen, meine Beziehungen oder meine Ziele. So erkaufe ich mir meinen Frieden. Die Mutter: ... weil es für mich der leichtere Weg war, einfach den Rücken zu kehren, mitsamt all den Erinnerungen an sie, meine Mutter, die mich geliebt, aber nicht beschützt hat, die mich Wochenende für Wochenende beim meinem Vater verbringen ließ, jahrelang, obwohl ich hinterher jedes Mal wie ein wildes Tier war, und die nie wissen wollte, warum. Das Kind: Sie heißt Daley Amory und ist anfangs elf Jahre alt. Und so beschreibt sich in knappen Worten das Leben dieses unverstandenen Mädchens, das uns seine erdrückende Lebensgeschichte, startend Mitte der Siebzigerjahre, selbst hautnah erzählt. Der Vater ein neureicher, bornierter, emotional abgestumpfter Mensch, der sich einen Dreck um seine Kinder schert, sondern nur seinem Ego frönt und sich gerade mal für seine Hunde, Tennis, republikanisches Gedankengut und das gesellschaftliche Leben in seinem amerikanischen Ostküstenkaff interessiert. Und natürlich zuallererst für seine unzähligen täglichen Drinks, die er zelebriert und kippt und die ihn dann zu einem menschenverachtenden, cholerischen Monster mutieren lassen, das seine Familie terrorisiert. Bis dann eines Tages Daleys Mutter von jetzt auf gleich ihre Tochter und ihre Siebensachen schnappt und sich absetzt. Was der verletzten Kinderseele aber keinerlei Entlastung, sondern nur noch mehr Qualen bringt, denn nach der Scheidung beginnt ein jahrelanges Pendeln zwischen verfeindeten Elternteilen inklusive deren jeweils neuen Partnern. Hilfe ist da von keiner Seite zu erwarten, zumal der ältere Bruder schon lange weg gezogen ist und alle anderen Erwachsenen der Stadt konsequent weg schauen. Das Buch: Ist großartig! Meisterhaft und berührend die Sprache und die Personenzeichnungen des Romans, die den Leser sofort in Bann ziehen und bis zum Schluss nicht mehr los lassen. Die Autorin schafft es zum einen wohltuend, typisch süßlich-amerikanische Befindlichkeitsdokumentationen auf ein absolutes Mindestmaß zu beschränken , dafür bietet die Geschichte auch wahrlich kaum Anlässe. Viel überzeugender ist , wie man hier eine Frau aus ihren prägenden Kindertagen mit einem Alkoholiker heraus bis in ihr mittleres Alter hinein auf ihrem interessanten, verschlungenen wie problematischen Lebensweg begleiten darf (den man nicht erzählen kann, sondern einfach selbst lesen muss) und vor allem, wie ihre schlimmen familiären Erfahrungen unabdingbar ihre frühe wie spätere Persönlichkeitsentwicklung massiv beeinflussen. Und wie sie als Tochter einfach nicht anders kann, als ihrem berechnenden, vulgären und abstoßenden Vater immer weiter die Treue zu halten und sich von ihm trotz aller Beschränkungen ihres eigenen Lebens einfach nicht lösen kann. Da möchte man als Leser am liebsten manchmal einfach dazwischen gehen, so gut ist das gemacht. Ein bis zuletzt absolut überzeugendes Buch und echtes Lesehighlight