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Babscha

Posted on 2.3.2020

Vier Männer sind die Hauptpersonen dieses Buches. Es erzählt ihrer aller Leben, startend mit den gemeinsamen Studienjahren an einem amerikanischen Ostküstencollege. Da ist Malcolm, Spross einer gut situierten, aber gefühlskalten Upperclassfamilie, mit einem Faible für Architektur. Dann Jean-Baptiste, als Junge mit seiner Mutter und deren Schwestern aus der Karibik immigriert, humorvoll und künstlerisch ambitioniert. Willem, ein angehender Schauspieler, in schwierigen Familienverhältnissen im outback von Wisconsin aufgewachsen. Und Jude, die eigentliche Hauptfigur des Romans, um die sich letztlich alles dreht. Ein gutaussehender, mit einer unfallbedingten Gehbehinderung geschlagener Genius, hochkompliziert, unstet und mental stark belastet, der niemandem seine Seele öffnet, geschweige denn Einblick in die dunklen Fakten seiner Vergangenheit gewährt. Sie alle sind Freunde, eng verbunden, und ziehen nach dem Studium alle nach New York City, um dort ihr Glück zu machen. Von Anfang an zeichnet sich dabei eine ganz besondere, tiefemotionale Bindung zwischen Jude und Willem ab, die sich immer weiter verstärken wird. Eine gute interessante Ausgangslage für ein nicht nur von Umfang und Gewicht her großes Werk. Zum einen legt die Autorin hier einen klassischen New-York-Roman vor, an dem Liebhaber dieser Stadt (wie ich) schnell Gefallen finden. Dazu die glaubhafte realitätsnahe Schilderung der typisch amerikanischen Lebenswege von vier Männern bis weit in ihre mittleren Jahre hinein (mit vielen vielen im Laufe der Geschichte hinzutretenden weiteren Personen, die mal von elementarer Bedeutung fürs Geschehen, mal reines Beiwerk sind), wobei deren jeweilige Vergangenheit durch regelmäßig eingestreute Rückblenden dem Leser nach und nach ausgebreitet wird. Kern des Buches ist dabei aber immer die Person Judes. Das hochkomplizierte Zentralgestirn der Geschichte, mal hell aufleuchtend, mal dunkler und unheimlicher als die Nacht, um das die gesamte Zeit alle anderen Mitwirkenden wie Satelliten kreisen und taumeln, einerseits im stetigen Bann seiner magischen Anziehungskraft, zugleich aber auch voller Angst und in permanenter Anspannung aufgrund seiner Unkalkulierbarkeit, Unzugänglichkeit und dem Schwarzen Loch seiner Vergangenheit, in das er lange Zeit niemanden eintauchen lässt. Der Autorin gelingt es sehr überzeugend, dem Leser mit Jude eine Persönlichkeit literarisch zu präsentieren, deren Kompliziertheit und Vielschichtigkeit ihresgleichen sucht. Ein durch und durch zerrissener, von den Erlebnissen seiner grauenhaften Jugend gequälter Mensch, der trotz der verzweifelten Bemühungen der ihn umgebenden Menschen niemals wirklich zur Ruhe kommt und nur in den seltenen Momenten der Nähe zu seiner engsten Bezugsperson Willem so etwas wie Sicherheit, Zuneigung und Schutz empfindet. Während die Geschichte bis Buchmitte stringent, spannend und höchst interessant entwickelt wird, schleichen sich in der zweiten Hälfte aus meiner Sicht leichte Längen ein, die aus einfach zu vielfältigen, manchmal überflüssigen Nebenschauplätzen und Begebenheiten resultieren, die für die weitere story und die Figurenzeichnung nicht immer zwingend sind und damit eher ermüdend wirken. Hier hätte etwas mehr gestrafft werden können. Gleiches gilt für die emotionale Übersensitivität aller Hauptbeteiligten im letzten Buchdrittel, was irgendwie dann doch überfrachtet wirkt. Das wird allerdings durch eine völlig überraschende dramaturgische Entwicklung zum Ende der Story mehr als kompensiert. Insgesamt ein absolut überzeugendes Buch, das allein aufgrund der unglaublich dichten und tiefen Persönlichkeitsschilderung seines schwer gezeichneten Hauptprotagonisten ein Lesehighlight dieses Jahres ist. Unbedingte Empfehlung!

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