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Babscha

Posted on 2.3.2020

Das Mädchen Francie Nolan ist die Hauptfigur dieses Buches, das in den ersten beiden Dekaden des vergangenen Jahrhunderts im New Yorker Stadtteil Williamsburg spielt und das beschwerliche Leben auf unterstem sozialem Niveau, den täglichen Überlebenskampf der dort lebenden armen Bevölkerung treffend und detailgetreu beschreibt. Auch Francie macht da keine Ausnahme, ihr Vater ist ein lebensuntüchtiger irischstämmiger Sänger und Säufer mit großem Herz, ihre bodenständige Mutter diejenige, die die Familie mit Putzarbeiten letztlich irgendwie über Wasser hält und mit ihren zwei Schwestern eine verschworene Gemeinschaft bildet. Das Williamsburger Viertel ist eine in sich abgeschlossene kleine Welt voller eigener Regeln und Besonderheiten, in dem Kinder sehr früh erwachsen werden müssen. Francie, von klein auf ein sensibles Kind voller Empathie und guter Beobachtungsgabe, flüchtet auf ihrem Stammplatz auf der Feuerleiter an ihrem Wohnhaus aus ihrem harten Alltag voller Entbehrungen und Hunger in die Welt der Literatur und träumt von einem späteren Leben als Schriftstellerin. Aber vieles wird anders kommen. Betty Smith hat mit ihrer bereits 1943 verfassten und jetzt im Inselverlag in toller Neuübersetzung aufgelegten Milieustudie ein einfach nur wunderbares, kraftvolles Buch geschrieben, das den Leser in die Welt der Menschen Brooklyns in der Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts entführt, ihn teilhaben lässt an deren harten, aufzehrenden Lebensumständen in einer kleinen abgeschotteten Welt, aber auch von Zusammenhalt und Herzenswärme zwischen den Bewohnern berichtet, wenn´s wirklich drauf ankommt. Und natürlich vom Leben und Aufwachsen der dortigen Kinder. Seine Dichte und Intensität, die den Leser in einem bildgewaltigen Sog in die Seiten hinein zieht, resultiert sowohl aus der poetischen, zutiefst menschlichen Sprache der Autorin wie auch aus dem dramaturgischen Kniff, dass sie den Leser neben dem gesprochenen Wort auch in den Kopf und die Gedanken aller Protagonisten Einblick nehmen lässt. Dies ermöglicht damit eine Beobachtung aus dem Überbau und dem Leser sein völlig eigenes Kopfkino. Roter Faden ist dabei immer die Familie Nolan und hier ganz besonders das Leben der kleinen, liebenswerten, einsamen, träumerischen, aber auch cleveren und durchsetzungsfähigen Francie, die wir hier bis zu ihrem siebzehnten Lebensjahr begleiten dürfen. Ein absolut überragendes, warmherziges Buch, das gerade davon lebt, bereits vor über siebzig Jahren geschrieben worden zu sein und das auch in jeder Zeile deutlich macht. Für mich nicht nur ein Lesehighlight, sondern eins der schönsten Bücher, die ich jemals gelesen habe.

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