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Babscha

Posted on 2.3.2020

Einsamkeit ist das große Thema des bereits 1965 geschriebenen und jetzt in brillanter Neuübersetzung erschienenen Klassikers von James L. Herlihy. Er erzählt die Geschichte von Joe Buck, einem Jungen aus Albuquerque, New Mexico, der in einem Bordell aufwächst, ohne seinen Vater zu kennen und ohne zu wissen, welche der dort arbeitenden Prostituierten wirklich seine leibliche Mutter ist. Später wird er zu seiner „Großmutter“ abgeschoben, bei der er über viele Jahre hinweg seine Tage orientierungslos und verwahrlost in deren Schönheitssalon verbringt und die bis ins Erwachsenenalter hinein faktisch seine einzige Bezugsperson bleibt. Mangels Schul- oder sonstiger Bildung, aufgrund fehlender Förderung und vor dem Hintergrund seines unterdurchschnittlich entwickelten Intellekts tut er sich mit dem normalen Leben, insbesondere im sozialen und gesellschaftlichen Beziehungsgefüge extrem schwer, ist linkisch, weltfremd und unbeholfen und phantasiert in einer selbstkonstruierten Blase aus bizarren Tagträumen von einem Dasein als cooler bewunderter Cowboy, der es allen mal so richtig zeigt. Punkten kann der bisexuelle Joe später tatsächlich nur mit seinem anziehenden Äußeren, was auf Frauen wie Männer zwar magnetische Wirkung hat, aber immer wieder nur zu Enttäuschungen und massiver Ausnutzung führt. Im Alter von 27 macht er sich dann irgendwann völlig naiv mit ein paar Dollar in der Tasche per Greyhound auf den Weg nach New York, um dort mittels seiner Attraktivität das große Geld zu machen. Was ihn erwartet, ist allerdings nur ein weiterhin deprimierendes Leben als Stricher und Callboy ohne festen Wohnsitz. Bis er eines Tages Rico Rizzo kennenlernt, einen verkrüppelten kleinen Taschendieb, der wie er auf der Straße lebt. Diese Begegnung wird für ihn schicksalhaft und sein Leben von Grund auf verändern. Herlihy hat einen zu Recht bereits wenige Jahre nach seinem Erscheinen oscarprämiert verfilmten kleinen großen Roman geschrieben, in dem er sich über die Person seines unbedarften, bemitleidenswerten Protagonisten Joe Buck sehr intensiv und empathisch mit dem Thema der menschlichen Einsamkeit und ihren Auswüchsen in einer kalten egozentrischen Umwelt befasst, wofür das Leben in den amerikanischen Metropolen der 60er Jahre natürlich den passenden Rahmen bietet. Gleichzeitig ist das Werk, vor allem unter Berücksichtigung seines Erscheinungsjahrs, eine so mutige wie offene Anklage gegen die gesellschaftliche Ignoranz und Ablehnung des Themas Homosexualität zur damaligen Zeit, was der Autor mittels seiner Geschichte sehr plakativ, teils drastisch, vermittelt. Eine Art Schwermut und grundlegende Traurigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die eigentlich recht einfache Sprache des gesamten Buches und übt gerade durch diesen Kontrast totale Sogwirkung auf den Leser aus. Zumindest bei mir. Die Dialoge und die Interaktion zwischen den beiden sich immer mehr annähernden Hauptpersonen des Buches und vor allem der Schluss sind einfach umwerfend. Insgesamt ein tolles Buch, ein echter Klassiker, der auch mehr als fünfzig Jahre nach seinem Erscheinen nichts von seiner Strahlkraft verloren hat und in dem Herlihy offensichtlich ein gut Teil seines eigenen nicht unproblematischen Lebens verarbeitet. Kompliment an den Aufbauverlag für die äußerst gelungene optische Gestaltung und vor allem auch an den Übersetzer, der in seinem Nachwort zum Buch sehr erhellende und zum Nachdenken anregende Anmerkungen über den Autor vermittelt. Absolute Empfehlung. „Be yourself. No one can ever tell you you´re doing it wrong” (James Leo Herlihy)

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