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Babscha

Posted on 1.3.2020

Das Buch führt zurück ins Endstadium des Vietnamkriegs, als nach langen Jahren erbitterter Kämpfe zwischen dem kommunistischen Norden und dem durch die USA militärisch unterstützten Süden des Landes Saigon fällt und amerikanische Streitkräfte zuletzt US-Bürger wie zahlende vietnamesische Militärs nur noch pausenlos mit Helikoptern ausfliegen, bevor Stadt und Land dann von den Kommunisten eingenommen werden. Hauptperson des Buches ist ein namenloser ich-erzählender Mann, Sohn eines französischen Priesters und einer südvietnamesischen Mutter, der nach außen hin zwar als Hauptmann in der Armee des Südens dient, in Wahrheit aber von klein auf, traumatisiert durch verschiedenste negative Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend, als Spion und Undercoveragent für den kommunistischen Norden arbeitet. Von den Vietnamesen als „Bastard“ verachtet, hat er lediglich zwei Freunde, mit denen er als Kind Blutsbrüderschaft geschlossen hat, einer ein von seiner Doppelexistenz nichts ahnender verblendeter Revolutionär, der auf der dramatischen Flucht aus Saigon Frau und Sohn verloren hat, der andere sein eingeweihter Kontaktmann zum Norden. In vielen Rückblenden wird im Buch die Lebensgeschichte des Erzählers aufgerollt und mit den politischen Gegebenheiten der damaligen Zeit verknüpft, sein Leben in Los Angeles als einer von tausenden südvietnamesischen Flüchtlingen dort, sein Leben mit der Familie seines ehemaligen Generals, seine fortgesetzte Spionagetätigkeit und Berichterstattung mittels einer französischen Kontaktperson in Paris, seine sukzessive Einbindung in wiedererstarkende Untergrundaktivitäten radikaler Südvietnamesen in den USA, bis hin zu einer schicksalhaften Entscheidung, die er dann irgendwann zu treffen hat. Das Buch hat Licht- und Schattenseiten. Der Autor, selbst 1975 mit seinen Eltern aus Südvietnam geflohen, weiß, wovon er hier erzählt und gewährt dem Leser tiefe, durchweg interessante Einblicke in die Lebens- und Denkweisen der Menschen und die Funktionsstrukturen seines Landes, die einem zentraleuropäischen Leser jedoch streckenweise irgendwie fremd bleiben. Während sich die (insgesamt leider einfach zu breit aufgestellte) Geschichte in der ersten Hälfte auch noch spannend und logisch entwickelt, gerät sie im zweiten Teil irgendwie in Schieflage und erscheint gerade zum Schluss zu aufgesetzt. Dies insbesondere, da die ganze im Zuge der Geschehnisse nach oben spülende innere Zerrissenheit des Hauptprotagonisten und sein kontinuierliches Abgleiten in psychotische Zustände kaum mehr nachzuvollziehen sind und diese Person dem Leser damit immer weiter entfremden. Kurz gesagt: Zuviel des Guten (bzw. Schlechten), zumindest aus meiner Sicht. Ebenso fragt man sich, warum auch hier wieder einmal ein Autor meint, dass unablässig explizit dargestellte Gräueltaten und abstoßende Folterszenarien die Intention seines Werkes und dessen Wirkung auf den Leser verstärken könnten. Als halbwegs mit der jüngeren Historie vertrauter Leser weiß man auch so, was da vor Ort alles abgelaufen ist. Und je umfangreicher ein Buch und der Vorlauf der dort dargelegten Geschichte, desto höher dann natürlich auch die Erwartungshaltung des Lesers an die Gesamtauflösung am Ende, die hier leider ebenfalls ziemlich konstruiert wirkt und deutlich hinter den Erwartungen zurück bleibt. Aber immerhin hat er ja den Pulitzer dafür bekommen. Ein wahrhaftig anstrengendes Buch, für mich leider mit deutlich überdrehten Stellschrauben und deshalb, zumindest soweit es die mitwirkenden Hauptpersonen betrifft, ohne großen Nachhall.

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