wortberauscht
Rezension verfasst von © Janna (KeJasWortrausch.de) Lest Ihr noch Märchen? Ich liebe diese Geschichten und genau deshalb liebäugelte ich schon lange damit, endlich ein Buch aus der Märchenspinnerei zu lesen! Dort findet sich eine Reihe die sich den alten Märchen widmet und diese völlig neu interpretiert – alle Geschichten in sich abgeschlossen und für sich alleinstehend lesbar. Und da Eva-Maria Obermann für mich keine unbekannte Autorin ist und mit diesem Buch obendrauf noch einen Selfpublisher-Titel veröffentlichte, konnte ich nicht mehr widerstehen, endlich eines zu lesen. (Das mir beim Schreiben dieser eben von Euch gelesenen Zeilen einfiel, dass bereits ein Buch dieser Reihe seit längerem in meinem Regal auf mich wartet, erwähne ich mal lieber nicht?!) Ich fand in diesem Buch eine absolut neue Geschichte um „Rapunzel“, in der sich zwar Merkmale des alten Märchens der Gebrüder Grimm fanden, es aber doch eine eigenständige und von eben jenem Märchen unabhängige Geschichte ist. Und ich muss gestehen, eine Szene sagte mir in diesem Buch sogar mehr zu als in „Rapunzel“ selbst. Dennoch konnte mich die Gesamtgeschichte nicht in seiner Gänze überzeugen, denn die Ereignisse zum Ende hin kamen zu schnell und hatten zu wenig Raum sich zu entfalten. Ebenso Valeria, das Mädchen welches von der Außenwelt abgeschottet wird, entwickelte sich in ihrer Selbstfindung zu schnell. Dies ist vielleicht auch den nicht mal 260 Seiten geschuldet. Ein Märchen über einen Drachen. Ein Mädchen isoliert in ihrer kleinen Welt. Eine Mutter die sich immer mehr distanziert. Da wurde ich sehr neugierig auf das, was sich innerhalb der Geschichte entwickeln wird. Valeria lernt täglich, erfüllt verschiedenste Aufgaben und wird bei jeder Feier der Mutter in ihr Zimmer gesperrt, angeblich zu ihrem Schutz. Denn außerhalb der Mauern lauert der Tod, nur ausgewählte Menschen dürfen Kontakt zu Valeria haben. Jahrelang vertraute sie ihrer Mutter blind, doch ein Zweifel sät sich in ihr, ein belauschtes Gespräch bringt ihre Welt zum wanken. Beginnende Zweifel und plötzlich ging alles ganz schnell. Dies mag man oder nicht – ich habe bei solchen Entwicklungen der Protagonist*innen gerne ein paar Seiten mehr. Ich hätte mir einen leisen Zweifel gewünscht, der sich immer tiefer frisst. Zum Teil ist dies auch so gegeben, aber dann ereignen sich Szenen die mir den weiteren Verlauf zu schnell vorantrieben. Valeria ist eine schwarze Protagonistin und bekommt selbst durch die Angestellten zu spüren, dass sie es ohne ihre Mutter nicht weit gebracht hätte. Dies wurde mir zu schnell abgehandelt, denn das die Autorin sich gegen eine Märchentypische blonde, weiße Protagonistin entschieden hat, war ein Punkt meines Interesses an der Geschichte. Doch eben diese Kritikpunkte wiegen sich mit anderen Ereignissen etwas auf. Auch in der Neu-Interpretation gibt es die berühmte Szene des Hinaufkletterns der Haare. In dieser Version jedoch ungeschönt, schmerzhaft, rötlich! "Ich beiße auf die Unterlippe, um nicht aufzuschreien, schmecke Blut. […] Mit jedem Ruck wird es schlimmer. […], meine Füße verlieren den Halt […]. Ich gleite ein Stück weiter aus dem Fenster, kneife die Augen zusammen. Warme Flüssigkeit tropft aus meiner Nase, fällt in die Tiefe unter uns." (Seite 158) Das Buch hat seine Stärken und die finden sich nicht nur in der oben genannten Szene, denn: yes!, kein Prinz! Die Frau wird nicht von einem Helden gerettet, sondern erhebt sich allein. Was in den alten Märchen dazu gehört, aber eben auch überholt ist, wirft die Autorin direkt über den Stift. Es braucht nicht immer den Retter in schillernder Rüstung! Während für viele bestimmt Valeria die Heldin ist, so ist es für mich die Protagonistin Minna. Man könnte sie als Zofe von Valeria betiteln, ein schweigsames Mädchen, denn sie kann nicht sprechen, auch nicht mit ihren Händen. Doch hinter dieser stillen Fassade verbirgt sich eine große Stärke, welche gerne mehr in den Fokus hätte gesetzt werden dürfen. Ich mochte sie von Beginn an. Valeria ist die Erzählerin dieser Geschichte und ich hatte als Leserin somit ihre Gedanken immer direkt vor mir. Minna hingegen blieb im Schatten, verbarg etwas und ließ sich selbst in strapaziösen Situationen nicht aus der Ruhe bringen. Und wo bleibt jetzt der Steampunk fragt Ihr Euch? Es ist die Welt an sich, in der Valeria aufwächst. In einem Ätherschiff fliehen Valeria und ihre Mutter Stella zu Beginn der Geschichte, nur damit Valeria in einem neuen Turm ihr Leben driften kann. Stella ist eine sehr angesehene Ärztin und hat durch ihre Forschung bereits viel bewegen können. Statt Prothesen wie wir sie kennen, werden diese aus Zahnrädern hergestellt. Kein allumfassender Flair innerhalb der Geschichte und doch immer sehr präsent. Ich glaube dieses Subgenre sollte ich mir wirklich mal genauer anschauen. Lob und Kritik gehen bei dieser Geschichte Hand in Hand. Mir fehlte einfach Raum für die Entwicklung der Geschichte, welche auch gerne einen leicht düstereren Verlauf hätte haben können. Aber wer es gerne etwas softer mag als ich, wird gefallen an dieser Märchen-Adaption haben.