mabuerele
„...Die Psyche hat so viele Schichten wie eine Zwiebel. Die abzuschälen und auf den Kern der Dinge vorzustoßen, damit alte Wunden heilen können, dauert unter Umständen ein ganzes Leben...“ Der vierte Teil der Saga beginnt mit einem Vorspiel. Bei ihrem Urlaub im Hausboot lassen Vikram und Raja sowie Sameera und Sita die Vergangenheit noch einmal an ihren Augen vorbeiziehen. Natürlich bleibt dabei auch die Politik nicht außen vor. Sameera, deren Wurzeln in Irland und Indien liegen, erinnert daran, dass auch Europa seine noch nicht lange zurückliegenden Konflikte hatte. Bei ihr klingt das so: „...Und da die Iren sind, wie sie sind, ertränkten sie ihren Schmerz in Alkohol und schrieben traurige Balladen über ihre Rebellen. Und feierten ihre Märtyrer – ganz wie im Kashmir...“ Als beide Familien zurück in ihrer Heimat sind, scheint das Leben seinen geruhsamen Gang zu gehen. Raja baut ein Gästehaus. Im Haus des Friedens, dem Vikram vorsteht und in dem er ehemalige Straßenkinder oder Kindersoldaten betreut, bahnt sich die erste Liebesbeziehung eines seiner Schützlinge, eine junge Frau, an. Doch Frieden ist in Kashmir ein seltenes Gut. Die Explosion in einem Schulbus weist auf die harte Realität hin. Dann bekommt Vikram von Nahija, Politikerin und gute Freundin, einen brisanten Auftrag. Einer seiner größten Widersacher soll endlich überführt werden. Noch ahnt Vikram nicht, dass dies sein eigenes Leben heftig durcheinander bringen wird. Bei seinen Nächsten werden tiefe Spuren zurückbleiben und selbst die Freundschaft mit Raja steht auf Messers Schneide. Das liegt auch daran, dass Vikram sich als ehemaliger Geheimagent ein Menge Feinde gemacht hat und geschickt abwägen muss, was er seinen Freunden sagt oder verschweigt. Der Schriftstil lässt sich angenehm lesen. Die Autorinnen verstehen es, sowohl ernste Situationen als auch berührende Momente in passende Worte zu kleiden. Die stilistischen Höhepunkte sind für mich immer wieder die fein ausgearbeiteten Gespräche. Das Eingangszitat stammt aus einem Gespräch von Raja mit Prem. Den hat Raja im Gefängnis besucht. Es geht um Schuld, Sühne und Vergebung. Rajas Einfühlungsvermögen gelingt es, seinen Gegenüber zum Sprechen zu bringen. Da er selbst durch ein dunkles Tal gegangen ist (spielt in Band 2 eine wesentliche Rolle), kann er sich in gut andere hineinversetzen. In einem Gespräch zwischen Raja und Vikram fallen die folgenden Zeilen: „...Ein Leben in Angst ist nur ein halbes Leben. Klar, wir dürfen uns der Gefahr bewusst sein, die jederzeit wie ein Schwert über uns hängt – aber wenn wir unsere Augen nur auf dieses Schwert richten, dann können wir ebenso gleich aufgeben...“ Immer wieder stehen die Konflikte des Landes im Mittelpunkt und tangieren mehr oder weniger die Handlung. Als Vikram auf den Markt eine Bekannte trifft und um Vergebung für eine alte Schuld bittet, fällt eine Formulierung, die mir beim weiteren Lesen nicht aus dem Kopf ging: „...Kashmir frisst seine Kinder...“ Der Busunfall war das erste Zeichen dafür, ein zweites Schicksal im Buch ist ebenfalls ein Beleg für diese Aussage. Rajas Weihnachtsmail an Vikram ist deshalb auch berührend und wichtig: „...Möge das Licht des Friedens stets heller leuchten als die Dunkelheit des Hasses...“ Gekonnt werden in die Handlung verschiedene Einzelschicksale integriert. Gleichzeitig darf ich die den spannenden Aktionen der Protagonisten Schritt für Schritt miterleben – von der Planung bis zum Abschluss. Dabei fiebert man natürlich automatisch mit den sympathischen Protagonisten. Heftig dagegen sind die Szenen in einem Lager des Paramilitärs. Glücklicherweise beschränken sich die Autorinnen hier auf das Wesentliche und die Folgen, ohne jede einzelne Handlung genüsslich zu beschreiben. Es sind Machtspiele, die die Perversität der Täter und ihre Unmenschlichkeit widerspiegeln. Eins möchte ich unbedingt noch erwähnen. Sameera ist Traumatherapeutin. Als alle wieder beisammen sind, erzählt sie den Kindern auf bewegende Weise ein selbsterdachtes Märchen, das all die Erlebnisse und Geschehnisse spielerisch aufarbeitet und keine Fragen offen lässt. Ein Personenverzeichnis und ein Glossar ergänzen das Buch. Die Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Ich freue mich auf die Fortsetzung!