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Babscha

Posted on 29.2.2020

Um es direkt auf den Punkt zu bringen: Dies ist ein Buch voller tief empfundener Menschlichkeit und mit einem unglaublichen Einfühlungsvermögen vor allem in die kindliche Psyche. Es ist Beleg einer Erzählkunst, die sich mir eingebrannt hat wie lange nichts mehr. Ein Meisterwerk, ein ganz großes Buch. Worum geht es? Erzählt wird die Lebensgeschichte des kleinen Hugo Hassel, der 1931 in Leipzig als uneheliches Kind einer überforderten, emotional abgestumpften Frau geboren wird, abgelehnt von seiner Mutter, von deren Ehemann und seinen beiden Halbschwestern. Schon als Säugling wird er vernachlässigt und von seinem dem aufkommenden Nationalsozialismus ergebenen „Vater“ regelmäßig und grundlos brutal misshandelt. Der hochintelligente Hugo überlebt diese unsäglichen Torturen mental nur, indem er ein allgegenwärtiges zweites Ich, seinen Freund Fritz, in seine Welt ruft, der an seiner Stelle die Qualen übernimmt. Im Laufe der Jahre, in Kindergarten und Schule, beginnen die Probleme dann erst richtig, da Hugo mit seiner unwissend entwickelten Persönlichkeitsspaltung und mit seinen andauernden Selbstgesprächen massiv auffällt. Zwar findet er einige Vertraute wie seinen Klassenlehrer, die ihn mit aller Kraft unterstützen und schützen wollen, unausweichlich beginnt sich jedoch auch zunehmend die medizinische Forschung, allen voran der von den deutschen Machthabern unterstützte Leipziger Uniprofessor von Rasch für ihn zu interessieren. Obwohl Hugo, sich seiner besonderen Persönlichkeit mittlerweile voll bewusst, von ihm wohl gesonnenen Personen zunächst an wechselnden Orten in Sicherheit gebracht werden kann und in den unruhigen Vorkriegsjahren zumindest noch einige schöne Momente wie im Ferienlager erleben darf, wird er irgendwann aufgespürt, von seiner eigenen Mutter verraten und im Frühjahr 1941 als „unwertes Leben“ in einem Vernichtungslager für Forschungszwecke von Ärzten des NS-Regimes getötet. Hugo Hassel ist eine fiktive Person und steht stellvertretend für die unzähligen Opfer der Kindereuthanasie in der NS-Zeit. Dem Autor gelingt es hervorragend, seine Geschichte eng in den wahren historischen Kontext einzubinden und damit beklemmend und spannend zu erzählen. Von daher ein aus meiner Sicht absolut wichtiges Buch, das aufrüttelt und ermahnt, so etwas niemals wieder zuzulassen. Und der Autor schafft es kraft seiner Worte nebenher, den Leser für diesen kleinen, ganz besonderen Menschen Hugo völlig einzunehmen.

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