Babscha
„Zweifellos bist du ein beschädigter, ein verwundeter Mensch, ein Mann, der von Anfang an eine Wunde in sich herumgetragen hat (warum sonst hättest du dein ganzes Erwachsenenleben damit verbringen sollen, Worte auf Papier zu bluten?) und der Gewinn, den du aus Alkohol und Tabak ziehst, dient dir als Krücke, dein verkrüppeltes Ich aufrecht zu halten und durch die Welt zu tragen“. Worte aus dem Buch, die das Selbstverständnis des Autors, seine spürbar tiefe innere Traurigkeit und Melancholie, seine permanente Selbstreflexion bei Beobachtung der Welt um ihn herum ziemlich gut charakterisieren. Die Autobiographie bietet Innenansichten eines sehr sensiblen Mannes, der ungeachtet vieler schöner und erfüllender Erlebnisse im Laufe seines vierundsechzigjährigen Daseins offensichtlich ganz schön am Leben selbst zu knabbern hatte und hat, und welches, wie er wiederholt betont, erst in der Verbindung zu seiner jetzigen Ehefrau so etwas wie Halt und Stabilität erhalten hat. Auster erzählt seine Geschichte in der zweiten Person Singular, was anfangs etwas ungewohnt erscheint, jedoch im weiteren Verlauf gut lesbar und auch stimmig ist. Ein elegantes Stilmittel, das den notwendigen Raum schafft, seine sehr persönlichen Gedanken sozusagen als außen stehender Erzähler ohne unmittelbare Einbindung und Betroffenheit des Selbst formulieren und erzählen zu können. Das Buch hat viele starke, intensive und wenige schwächere Momente. Die Passagen, in denen Auster von seinen diversen, mit Ausnahme der letzten immer gescheiterten Liebesbeziehungen berichtet, von der immerwährenden, quälenden Verlockung des Weiblichen schon von Kindesbeinen an sind zumindest nach meinem Dafürhalten leicht überzogen, ebenso wie zum Beispiel auch die epische Aufzählung seiner insgesamt einundzwanzig Wohnungen mit genauer Beschreibung von Lage und Zuschnitt. Dies wird jedoch alles mehr als wettgemacht durch sehr intensiv erzählte Momente aus seinem wahrlich abwechslungsreichen Leben, Kapitel, in denen er sich dem Leser bedingungslos öffnet, ihn teilhaben lässt an seiner eigenen, nicht gerade unproblematischen Familiengeschichte mit teils ignoranten und verschrobenen Verwandten und einer ganz speziellen Mutter, Personen, von denen er sich gerade als Kind mehr als einmal unverstanden und zurückgelassen fühlte, aber auch an glücklicheren Momenten zum Beispiel aus seiner Zeit in Frankreich oder aus seinem heutigen familiären Beziehungs- und Alltagsleben. Nichtsdestotrotz bleibt der Bericht im Ganzen nachdenklich und bedrückt. Es wird deutlich, dass Auster sich hier wohl so einiges, was bis heute nicht abschließend verarbeitet werden konnte, quasi als literarischen Befreiungsschlag von der Seele geschrieben hat. Der Abschluss des Buches mit den Worten „Du bist in den Winter des Lebens eingetreten“ ist für einen Mittsechziger hier doch recht bezeichnend. Ein sehr persönlich geschriebenes, lesenswertes Buch, in dem sich einer der großen Autoren unserer Zeit ganz bewusst selbst entzaubert und dem Leser sein wahres Ich recht nahe bringt.