Babscha
Der 1975 geborene und in Berlin lebende Schriftsteller und Übersetzer schreibt sich hier sein Leben von der Seele. In einer Autobiographie der besonderen Art. Denn Kernthema des Buches ist seine schwere bipolare Störung, genetisches Erbe mütterlicherseits, die seinen Geist nach einer sowieso schon schwierigen Kindheit erstmalig 1999 und nachfolgend dann nochmals 2006 und 2010 mit sich immer weiter verstärkender Tendenz überwältigt. Melle versinkt in den manischen Eröffnungsphasen über Monate hinweg, später dann länger als ein Jahr, in einem Strudel aus Realitätsverzerrungen, Fehl- und Überinterpretationen in Verbindung mit einem messianischen Empfinden der eigenen Person, und hinterlässt dabei eine Schneise verbaler wie tatsächlicher Verwüstungen an Menschen und Umwelt. Anfangs noch von Freunden unterstützt und finanziell wie praktisch über Wasser gehalten, wird sein Leben zuletzt nur noch beherrscht von Visionen und Ausfällen jeder Art, die ihn immer wieder in die geschlossene Psychiatrie führen. Und immer schließen sich nach der abklingenden Manie Phasen tiefer Depression mit akuter Suizidgefährdung an, in denen er erkennen muss, was er vorher alles im wahrsten Sinne "angerichtet" hat und vor Verzweiflung und Scham dann nicht mehr weiter weiß. Dazwischen dann wieder Abschnitte geistiger Klarheit mit so etwas wie einem "normalen" Leben, in die er jedoch immer schwerer zurück findet, erschwert nicht zuletzt dadurch, dass sein bisher letztes großes Desaster 2010 ihn auch finanziell ruiniert. 2016, das Jahr, in dem er das vorliegende Buch schreibt, hinterlässt einen weitgehend desillusionierten, nachvollziehbar gebrochenen Menschen mit einem kleinen Hoffnungsschimmer Richtung Zukunft, der aber genau weiß, dass ihn das Schicksal eines weiteren Anfalls trotz medikamentöser Eindämmung des Leidens aufgrund der lebenslangen Disposition für die Krankheit jederzeit wieder ereilen kann, und der sich dem trotz allem mit der noch vorhandenen Restkraft so gut es geht entgegen stemmt. Ein schonungsloses Buch, in dem der Autor keinerlei Rücksichten nimmt, schon gar nicht auf sich selbst, und in dem er verdammt ehrlich und offen den Leser an seinem krankheitsbedingt mittlerweile ziemlich verpfuschten Leben hautnah teilhaben lässt, dieses hier rigoros aufarbeitet. Er tut dies sowohl für sich wie für alle anderen, mal bewusst distanziert und sarkastisch, so als ob er von einem Dritten berichtet, dann wieder intensiv und direkt. Packend vor allem die Passagen, in denen er reale Entwicklungen ausbreitet, erzählt, was die Krankheit im wahren Leben für Auswirkungen hat. Schwächer allerdings, auf die Dauer fast schon ermüdend, die wiederholten ziemlich vergeistigten Berichte über die manischen Abschnitte, in denen er in gottgleicher Verklärung und am Rande des Wahnsinns nur so um sich tritt und brüllt, mit seiner gesamten Umwelt die offene Konfrontation sucht und sich in philosophisch-theologische Sphären aufschwingt, in die der Leser ihm dann tatsächlich kaum mehr folgen kann oder mag. Am besten und stärksten sind tatsächlich die Kapitel, in denen er aus Zeiten klaren Verstandes sein Leben selbst reflektiert und bewertet, quasi ein Akt von Schuld und Sühne im Versuch einer mentalen Selbstheilung, die natürlich nicht gelingen kann. Insgesamt ein außergewöhnliches, ehrliches, mitnehmendes, aber streckenweise auch ermüdendes Buch, bei dessen Lektüre man sich allerdings auch immer bewusst sein muss, von wem es mit welcher Intention und aus welchem Kontext geschrieben wurde. Davor Hut ab!