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Babscha

Posted on 28.2.2020

Die Autorin, eine 29jährige deutsche Journalistin, schüttet ihr Herz aus. Uneingeschränkt, direkt und mit persönlichsten Details aus ihrem Leben. Ihre Kindheit und Jugend in einem niedersächsischen Dorf mit zwei Brüdern, den Eltern und weiteren Verwandten, das tägliche Leben dort, ihre Pubertät mit den üblichen Problemen, dann ihr Auszug mit 18 und die anschließenden Jahre in Berlin, die einzelnen Stationen ihrer beruflichen Karriere. An allem lässt sie den Leser in loser Erzählreihenfolge teilhaben. Insbesondere auch an ihren vielen tiefgründigen Gedanken, ihren Idealen, gesellschaftspolitischen Ansichten und zwischenmenschlichen Befindlichkeiten, ihren bisherigen Beziehungen und Erlebnissen wie auch ihrer aktuellen großen Liebe. Obwohl man sich als Leser nach der Lektüre bestens über ihre ganzen bisherigen Lebensumstände informiert fühlt, kommt leider der rote Faden, nämlich das vom Leser erwartete und im Buchtitel verkündete eigentliche Thema des Buches, die Dynamik und die Umstände ihrer Beziehung zu ihrem Vater, mit dem sie sich nach engem Zusammenhalt in ihrer Kindheit seit Verlassen des Elternhauses immer mehr bis zu seltenen Treffen incl. Austausch von Banalitäten auseinandergelebt hat, hier unerwarteter Maßen zu kurz. Die Autorin erzählt von ihrem Wunsch, die aktuelle für sie unbefriedigende Situation zu ändern und daher brechen Vater und Tochter zu zweit für ein Wochenende nach Freiburg, dem früheren Studienort ihres Vaters auf, um sich wieder kennen zu lernen und zu schauen, ob und wie sich das innere Band zwischen beiden wieder fester knüpfen lässt. Unklar bleibt, woran diese Verbindung jetzt wirklich krankt, wo die genauen Ursachen liegen. Was man mitnimmt, ist das schlechte Gewissen einer inzwischen erwachsenen, sich selbst reflektierenden Tochter, die erkennt, dass die Sprachlosigkeit und Resigniertheit ihres Vaters wohl maßgeblich an ihr selbst und ihrem Verhalten in früheren Jahren liegen dürften. Trotz der im Interviewstil ihrem Vater gestellten "Lebensfragen" am Ende jeden Kapitels bleibt dieser als Person irgendwie nebulös, außen vor, seine Persönlichkeit selbst wird dadurch weder erhellt noch wirken die Fragen empathiefördernd. Obwohl das Buch eine engagierte und emotionale wie auch vorbehaltlos offene Sprache besitzt, konnte diese zumindest bei mir komischerweise keinerlei emotionales Mitnehmen auslösen, zu routiniert und zielgerichtet der Schreibstil. Insbesondere blieb mir bis zum Schluss der eigentliche Grund für das Vater-Tochter-Dilemma schleierhaft, ich erkenne nach Absolvierung ihrer "Tour" irgendwie keine wirkliche Aufarbeitung oder Weiterentwicklung; dafür hätte man aus meiner Sicht einfach viel grundlegender miteinander sprechen müssen. Ist natürlich nur meine ganz persönliche wertfreie Meinung. Insgesamt als reine Retrospektive einer Frau Ende Zwanzig auf ihr bisheriges Leben trotz einiger Längen und zu tief gehender Aufbereitung von Einzelheiten interessant zu lesen und unterhaltsam, bezüglich des eigentlichen Buchthemas jedoch leicht enttäuschend, da die Autorin ihre eigenen Erlebnisse, An- und Einsichten zu sich, ihrem eigenen und dem Leben an sich in einer dermaßenen Fülle und Intensität in ihr Buch hineinpackt, dass die vom Leser mit Spannung erwartete Vater-Tochter-Geschichte davon einfach erdrückt wird. Die familiären Begleitumstände sind letztlich so, wie sie in tausenden anderen Familien gleichermaßen vorkommen. Die Idee der literarischen Aufarbeitung einer zum Stillstand gekommenen interfamiliären Beziehung an sich finde ich toll, sie hätte hier nur stärker und intensiver im Vordergrund stehen sollen.

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