Profilbild von gwyn

gwyn

Posted on 27.2.2020

Der Anfang: «Mein Desinteresse an der Schule war kaum zu übertreffen, aber immerhin habe ich die Matura gemacht. Die politischen Zustände waren unerfreulich, die Klasse in ein vaterländisches und in ein nationalistisches Lager gespalten, dazwischen einige Opportunisten. … Aus der Masse der Schüler ragten einige Hauptdarsteller heraus, einen trieben die Zeiten später in die Laufbahn eines französischen Geheimagenten, er ermordete einen ebensolchen russischen und wurde seinerseits im Gefängnis zu Insbruck von der Sureté auf immer zum Schweigen gebracht, ein zweiter unterschlug eine ungeheure Summe und entschwand mit ihr in den Tiefen des Mailänder Nachtlebens. Ein dritter, eher ein Statist, war bloß eine Woche abgängig, und es stellte sich heraus, dass er mit den Ersparnissen seiner Tante in die ‹Kolonien› gewollt, aber in Hamburg von der Polizei aufgegriffen wurde.» Ich bin schon ewig ein Fan von Paul Flora, habe viele seiner Ausstellungen besucht. Ein Satiriker mit spitzer Feder, seine Zeichnungen sind weltberühmt. Er verstarb 2009. In seinem Nachlass fand sich ein Heft, in dem der 18-jährige Paul Flora witzig und äußerst respektlos den Alltag und den 1940 herrschenden Zeitgeist an seinem Gymnasium in Innsbruck festhielt. Die Texte sind amüsant zu lesen und haben keinesfalls ihre Brisanz verloren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten Schüler heute noch mit den Texten konform gingen. Sein karikaturistisches Talent war schon zu dieser Zeit sichtbar. «Das Schulgebäude ist ein Haus, welches grau angestrichen ist. Eine Farbe, die passend ist. Im Inneren sind fürchterlich verschlungene Gänge und man kann sich dort verirren oder vom geraden Weg abkommen. Aber man weiß wenigstens, wie man sich benehmen muss, denn wo anderorts Tapeten hängen, sind hier Schilder angebracht, worauf genau geschrieben ist, was als verboten gilt. Kürzer wäre es, das Erlaubte hinzuschreiben.» Die 50 Textminiaturen sind mit kleinen Zeichnungen bereichert – im typischen Flora-Stil. Er schildert den introvertierten Typus eines Direktors, die unterschiedlichen Charaktere der Lehrer sowie alltägliche Szenen aus dem Schulleben: Zeugnisverteilung, Lehrerkonferenz, Ausflug, Pause, Freizeitbräuche, Schwänzen (Ausbrechermethoden), Prüfungen und auch den Karzer (öst. Begriff für Knast). Ob Latein, Chemie, Physik, Musik, die Schule war eine Plage. «Das sogenannte Elternhaus gehört auch zur ganzen Institution dazu.» Amüsant, besonders durch die witzigen Grafiken, macht dieses Buch viel Spaß. Ein MUSS für Flora-Fans – und wer es noch nicht ist, könnte mit diesem Werk einer werden. Die Memoiren eines jungen Satirikers. Paul Flora wurde 1922 in Glurns im Vinschgau in Südtirol geboren. Um dem Kriegsdienst zu entgehen, schrieb er sich an der Akademie der Bildenden Künste München ein, wurde aber trotzdem eingezogen. Nach kurzer US-amerikanischer Gefangenschaft kehrte er nach dem Krieg nach Tirol zurück und war seitdem als freischaffender Künstler in Innsbruck tätig. Paul Flora arbeitete mit der Feder, zunächst mit dichter Schraffur, mit feinnerviger, zarter Umrisszeichnung und entwickelte später eine Strichtechnik mit Tuschefeder. Er war der Meister größerer Strichdichte, und feiner Schraffur. Ab den sechziger Jahren wurde sein Strich fester, die Umrisslinie dicker, die Binnenzeichnung zusehends dominant. Er arbeitete mit Grautönungen, erreichte Effekte mit fein abgestuften Kontrastierung von hell zu dunkel erzeugte. Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen pointierte er in späteren Jahren gezielt mit wenig Aquarellfarbe und Buntstift. In den achtziger Jahren begann er auch mit Bleistift zu zeichnen. Wöchentlich erschienen seine Karikaturen in DIE ZEIT und er illustriete Bücher mit Satireinhalt, wie z.B. für Bücher von Wolfgang Hildesheimer, Erich Kästner, meist für den Diogenes Verlag..

zurück nach oben