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Der Anfang: «Der Fahrtwind war der schönste Begleiter. Strich mir durchs Haar und kühlte meine Stirn. Und hielt wenigstens die Klappe. Hans redete ununterbrochen, die immergleiche Litanei. Dass es nun wirklich Zeit war abzuhauen, denn was gab es hier schon? Nichts als schlechte Freunde, die von einem auf den anderen Tag verschwanden, und noch schlechteren Schnaps, der sich seit Jahren in unsere Eingeweide fraß und Nester für die Krankheiten baute, die wir im Alter haben würden.» Rumänien 1989, Nicolae Ceausescu regiert seit 1965 brutal das Land. Durch seine alles überwachende Geheimpolizei Securitate, die folterte und mordete, entledigte sich Ceausescu seiner Gegner und der politischen Opposition. Die massive Umstrukturierung zur Industrialisierung des Landes führte zum Niedergang der Wirtschaft, besonders der Landwirtschaft, da die Staatsschulden nur durch Export von Waren in Griff zu bekommen waren, Waren, die im eigenen Land fehlten. Obendrauf wurden von Ceausescu gigantische Bauvorhaben umgesetzt. – Die Bevölkerung leidet enorm, da die Arbeiter irgendwann kaum noch Lohn erhalten, der elektrische Strom wird rationiert. Die Lebensmittelversorgung bricht zusammen. Viele Rumänen versuchen, das Land zu verlassen, flüchten über die ungarische Grenze. In der Endphase der Ceausescu-Ära, kurz vor dem Sturz des Diktators, handelt der Roman. «Was sollte denn werden mit meiner Mutter und meinem Vater, deren Rücken gekrümmt waren vom vielen Bücken? Wie tief würde sie mein Fortgehen beugen? Und die Hunde? Würden sie sich nicht heiser bellen, wenn ich nicht Tag für Tag durch das quietschende Tor trat?» In einem Dorf in der Region Banat wohnen viele Donauschwaben. Zu ihnen gehören Anna, Hans und Misch. Die Augustsonne brennt, es geht in den September hinein. Banat liegt am Südostrand der ungarischen Tiefebene, die Grenze ist nicht weit – so viele sind schon gegangen – nach Deutschland. Lediglich der Mais steht noch hoch als Schutzschild vor der Grenze nach Ungarn. Nur drei Kilometer. Auch Anna hat Verwandte in der BRD, die Tante fragt dauernd, wann ihre Familie endlich nachkommt. Hans und Misch – Anna mag sich nicht für einen entscheiden. Beide so verschieden und beide so begehrenswert. Eins haben sie gemeinsam: den Gedanken an Flucht. Bevor der Mais geschnitten ist, müssen sie fliehen, der Blick über die weiten Felder ist nach der Ernte zu offen. Bei wem will Anna bleiben? Mit wem will sie gehen? Will sie gehen? Der Vater hat einen Besuchsantrag gestellt, der Großonkel in Deutschland ist krank. Und wenn man ihn ausreisen lässt, wird er zurückkommen? «In den Höfen saß keiner mehr, und nur hinter wenigen Fenstern war Licht. Viele waren verschlossen, die Dunkelheit dahinter war leer. Manche hatten ihre Türen vernagelt, bevor sie fortgegangen waren. Als müssten sie etwas schützen, was ihnen doch nie wieder gehören würde.» Ein kurzer Roman, ein paar Monate, bevor das Regime im Dezember zusammenbrechen wird, Ceausescu entmachtet. Ein heißer Sommer, dicht erzählt von der Liebe zum Land, zur Familie. Die Freiheit in der Ferne – eine unbekannte Fremde, ein Ort, den man sich nicht vorstellen kann, auf den man nicht vorbereitet wird, an dem man auf sich selbst gestellt ist. Der Knebel des Hier und Jetzt, Mangel an allem, den Mund verboten – immer die Angst im Nacken. Dicht beschreibt Nadine Schneider die letzten Monate vor dem Zusammenbruch, mit atmosphärischen Bildern schaut sie hinein in die Dorfgemeinschaft, das Leben in der Entbehrung, Alkoholismus, Bespitzelung, ein hartes Miteinander. «Ich sah Misch und Hans an, die im Gras lagen. Halb schlafend, kein einziges Wünschen mehr im Gesicht. Ein warmer Wind bewegte das Schilf. Insekten sirrten. Die Zweige der Trauerweide malten Formen ins Wasser. Und das war alles. Mehr passierte nicht an den Sonntagen im Sommer.» Zwei Freunde, zwei Männer, zwei Konkurrenten – eine Frau. Eine zerrissene Frau: Misch oder Hans, bleiben oder gehen – beide Männer wollen nach Deutschland, zusammen mit einem fliehen oder bleiben? Gleichzeitig strotzen diese jungen Leute vor Kraft und Lebensfreude: Tanzen, Trinkgelage, Schwimmen im Fluss, der Gebirgswasser führt, heimliche Treffen im Mais, Vergnüglichkeit auch in der entbehrlichsten Zeit. Jeder will aus dieser bewachten Welt fliehen, doch wie ein Magnet zieht die Heimat die Gedanken zurück. Was ist Heimat, was verbindet, was hält? Wer kann loslassen, sich abnabeln? Wem kann man trauen und wer wird wen verraten? Das Buch ist nicht unbedingt politisch, die Autorin beschreibt, was eine Diktatur mit Menschen macht. Eine beobachtende Icherzählerin, völlig unpathetisch. Ein Debüt, das Aufmerksamkeit auf sich zieht, mit dem Blogger-Debüt-Preis für Literatur belohnt wurde. «Es ist das Land, das uns verrät. Und ihn auch.» Nadine Schneider studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Regensburg, Cremona und Berlin. Sie veröffentlichte Kurzgeschichten in Anthologien, war mehrfach Stipendiatin der Bayerischen Akademie des Schreibens und wurde für Auszüge aus ihrem Debütroman beim Literaturpreis Prenzlauer Berg ausgezeichnet. Sie erhielt für diesen Roman den Blogger-Literaturpreis «Das Debüt» und 2020 den Literaturpreis der Stadt Fulda.