papierfliegerin
Was als erstes ins Auge sticht ist die unheimlich packende Atmosphäre, die einen umgibt und direkt in die Szenen hineinzieht. Marc Kemper hat einen sehr eingehenden, bildhaften und leicht zu lesenden Schreibstil und weiß mit Tiefgang und Emotionen umzugehen. Damit schafft er es problemlos, die Geschichte lebendig werden zu lassen und den Leser abzuholen. Für mich war es ein wahrer Genuss in den leisen, aber doch gewaltigen Stil einzutauchen und konnte ihn wundebrar auf mich wirken lassen. Besonders die tiefgreifende Momente hat der Autor sehr schön eingefangen und wiedergegeben, sodass sie ihre volle Wirkung entfalten können und zutiefst berühren und zum Nachdenken anregen. Lediglich die nebensächlich einfließenden Erklärungen und Fachbegriffe hätte ich persönlich nicht gebraucht – es hielt mich nicht auf und störte auch nicht besonders; aber es passte meiner Meinung nach nicht 100% zur Geschichte. Ganz am Rande: es wurde sich für die dritte Person Perspektive entschieden, was ich hier mehr als passend finde. Zwar steht es ein wenig im Kontast zum Titel, doch die „Ich-Form“ hätte hier einfach nicht richtig mit der Geschichte harmoniert. Sehr gut gelöst also und stilistisch eine herrausragende Leistung von Marc Kemper. Diejenige, die uns durch ihr Leben führt ist Camilla, eine junge Frau, deren Leben bereits während des Einstiegs eine dramatische Wendung nimmt. Der von ihr verschuldete Unfall wurde erstaunlich detailliert dargestellt und lässt einen die Veränderung von Camilla viel besser nachvollziehen. Allgemein fiel es mir, trotz ihrer Depressionen, nicht weiter schwer, mich in sie hinein zu versetzen und sie zu verstehen. Es war eigentlich ganz einfach: ich schloss sie ins Herz und schwankte ständig zwischen „bemitleiden“ und „bewundern“. Camilla ist unbeschreiblich mutig; eine wahre Kämpferin und das trotz dessen, was sie bereits alles erleben musste in ihrem Leben. Denn auch davon erfahren wir als Leser einiges; nämlich in Form von Rückblicken bzw. Träumen. So vertiefte sich mein Eindruck stetig und ich spürte, wie ich ihr trotz bereits bestehender Bindung immer näher kam und sie noch lebendiger wurde. Ihre Handlungen und Gedankengänge spielten eben jenem Punkt ebenso in die Karten: sie handelte und dachte logisch, nachvollziehbar und glaubhaft. Kurz nochmal zusammengefasst: Camilla tat enorm viel für die Geschichte, hauchte ihr Lebendigkeit ein und brachte nicht nur einiges an Potential mit, sondern schöpfte es auch gänzlich aus um mich zu überzeugen zu können. Die Nebenfiguren konnten mich dabei aber mindestens genau so überraschen. Die Truppe ist bunt gemischt, jedes Alter ist vertreten und alle gängigen Wesenszüge gleichmäßig verteilt. Es gab die, mit denen man sofort sympathisiert, doch genau so trifft man auf Figuren, denen man erstmal eher misstrauisch begegnet. Was sie aber alle gemein hatten: sie brachten Tiefgang mit und reife, überlegte Handlungen und Gedanken. So waren es vor allem die Randcharaktere, die mich mit ihren Aussagen für sich gewannen und nachdenklich machten. Als letztes widmen wir uns der Idee und deren Umsetzung. Zugegeben, aufgrund der geringen Länge des Buches und der großen Schrift war ich nicht ganz sicher, ob die Handlung wirklich ausreichend genau geschildert wird, um es als glaubwürdig durchzugehen. Mein erster Gedanke war „na das wird ein kurzes Vergnügen“ – womit ich zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht gerechnet hatte, war die Intensität, auf die ich traf. Die Idee hinter dem Buch ist beeindruckend und für mich was völlig neues gewesen. Sie glänzt durch eine spannende Umsetzung, auf einige Plots und auf oben erwähnte Atmosphäre. Von der ersten Sekunde an war ich gefangen, fieberte mit und konnte meine Neugier, wie Camilla sich in Sibirien so schlägt, nur schwer in Zaum halten. Dieses kurze, unscheinbare Buch wurde zu einem wahren Pageturner, zu einem Werk, das berührt und nachdenklich macht und etwas in mir bewegte. Es war durchweg spannend, es gab sogar die ein oder andere actionreiche Szene – aber es vor allem gab es Camilla, die alles tat, um alle am Leben zu halten. Stellenweise spürte ich die eisige Kälte am eigenen Leib und kann nur immer wieder die einhüllende Amtosphäre erwähnen und wertschätzen – denn mitunter davon lebte die Geschichte. Der große Twist am Ende schockiert, anders lässt es sich nicht benennen. Niemals hätte ich mit dieser Auflösung gerechnet und ich war überrascht und entsetzt zugleich, dass der Überlebenskampf längst nicht das Highlight des Buches war. Für mich hat Marc Kemper nicht nur eine mitreißende Geschichte geschrieben, sondern eine Reise zu sich selbst, zu Einsicht, innerem Frieden und zu Genesung. FAZIT: „Um mich herum stehen bekannte Gesichter“ von Marc Kemper ist ein beeindruckend tiefgründiges, aufklärendes Buch voller Spannung, interessanten Plots und einer einnehmenden, um nicht zu sagen, alles verzehrenden Atmosphäre. Die eisige kälte des russischen Nordens übertrug sich immer wieder wie durch Zauberhand auf meinen eigenen Körper und ließ mir in regelmäßigen Abständen einen Schauer über den Rücken jagen. Glaubhafte, detaillreiche und greifbare Charaktere rundeten dieses Werk dann letztlich ab. Für das absolute Highlight fehlte mir noch eine Spur – vielleicht lag es an der Länge; vielleicht an den unpassenden Fachbegriffen – aber letztlich schrammen wir knapp an den 5 Sternen vorbei. Trotzdem ein absolut lesenswertes Buch, das sich noch länger in mir nachklingen wird.