nadines_buecher
Jeder kann ein Künstler sein – man muss sich nur trauen, der eigenen Kreativität Raum zu geben und ihr gestatten, sich Raum zu nehmen, ihr Raum überlassen. Dazu sei geraten, dem Trickster zu folgen ohne ihn auszutricksen, sich eine Armee an Archetypen zum Schutz der eigenen Psyche zur Seite zu holen und oftmals auch das Gehirn abzustellen, auf jeden Fall sich von jeglichem Erfolgsdruck zu befreien. 49 Übungen stellt uns der Grafiker und Autor vor, die den Weg zwischen linker und rechter Gehirnhälfte stärken, damit den Weg zum Künstler-Ich ebnen. Angereichert mit Erzählungen aus seinem Leben, sowohl vom Kunst-Studium als auch von seiner Familie, leitet Nick Bantock einen Teil der kreativen Übungen ein. So lassen sie sich gut einordnen und werden auf diese Weise leicht zugänglich gemacht. Emotionen und eigene Erfahrungen werden angesprochen. Die Anleitungen und Hinweise zu den Übungen sind stets ausreichend erläutert und beschrieben. Wer sich jedoch darauf verlässt, dass die zu Anfang aufgelisteten Grund-Materialien ausreichen, wird bei Fortschreiten der Übungen eines Besseren belehrt. Deshalb vorab die Empfehlung, die Anweisungen nicht erst kurz vor Start der Übung durchzulesen, sondern auf Material und Zeit schon im Vorhinein einen Blick zu werfen. Denn nicht jeder hat einen Wald vor der Tür, einen eigenen Farbkopierer, einen Flohmarkt just im Moment um die Ecke, eine ausrangierte Action-Figur zur Hand oder einfach so eine Wand zur Verfügung, die nach Vollendung der Übung gerne Spuren des künstlerischen Prozesses tragen darf. Auch hier ist man gefragt, sich auf die Übungen einzulassen, sich aber auch darauf vorzubereiten. Insofern lässt sich das Buch nicht als Wochenend-Workshop durchkünstlern, wie ich zunächst missverständlich annahm. Einige Übungen muss ich somit auf später verlegen, bis ich das geeignete Material gefunden habe um z.B. mein eigenes „Magisches Objekt“ (Nr. 32) anzufertigen oder um Objekte anzuordnen, die mich als „Die ungewöhnlichen Beschäftigten“ repräsentieren (Nr. 19), um das „Veränderte Modell mit Geschichte“ (Nr. 24) zu erstellen. Ganz zu schweigen von meiner eigenen Mini-Siedlung im Wald oder Park (Nr. 22) oder der Farbkopie von „Risiko und glücklichen Unfällen“ (Nr. 47). Jedenfalls werde ich auch diese Übungen nachholen! Entspannt, zu einem zuvor gut ausgewählten Zeitpunkt und mit all ihren Konsequenzen. Ich freue mich darauf, denn so sollte es, wie der Autor selbst schreibt, sein: Spaß daran haben. Keine Hektik, kein Stress. Schließlich gibt es eine Zeit für alles. Und Künstler wird man nicht an einem Tag. Es ist ein Prozess, für den man sein eigenes Tempo finden muss. Und das ist gut und in Ordnung. So zumindest verstehe ich das Buch. Auf jeden Fall werde ich auch mir besonders bedeutsame Übungen wiederholen. Schön ist, dass es nicht nur Übungen gibt, die eine Statue oder ein Gemälde/eine Collage hervorbringen, sondern ebenfalls solche, die sich mit Text und Sprache beschäftigen (z.B. Nr. 9, Nr. 14, Nr. 15, Nr. 37). Es macht unheimlich Spaß, einen Text mit den Substantiven eines zweiten Textes anzureichern, ein eigenes Land aufzubauen - Willkommen in meinem eigenen Reich „Tussilli“ -, angeleitet ordentlich zu schimpfen, neue Wörter und deren Definitionen zu erfinden – kennen Sie auch Verstehensvernachlässiger? -, oder sich mit seinen Träumen zu beschäftigen (ohne dabei in eine traumdeuterisch-therapeutische-psychologische Richtung abzudriften, was gefährlich wäre und vor der der Künstler Nicht-Psychologen warnt). Limericks und Witze schreiben sind allerdings weniger meines, so habe ich festgestellt. Macht nichts, vielleicht komme ich in einer anderen Stimmung dahin oder ich werde darin bestätigt, dass meine Stärke eben tatsächlich woanders liegt. Besonders erfreut hat mich die Übung „Blau“ (Nr. 39), da dies meine Lieblingsfarbe ist (womit ich offenbar zu einer Hälfte am Blue-Seven-Syndrom leide, was mir allerdings gleichgültig ist in dem Wissen, dass ich mich eben für etwas in der Natur seltenes begeistere) und die Wirkung, die ein rotorangener Kleks in der Tat in meinem Werk hat. Dicht gefolgt von „Den fünf Besten“ (Nr. 38), die geistigen Diebstahl der persönlich bedeutendsten Kunstwerke ermöglicht, tiefer jedoch mit der Auseinandersetzung warum diese gerade so viel Bedeutung für das Selbst haben. Wunderbar. Daneben hat mich die Chiarusco-Übung (Nr. 26) zu einer anderen Betrachtungsweise der von mir ohnehin geliebten schwarz-weiß-Fotografien angeregt und ich habe gelernt, dass ich bereits Sensualistin bin (Nr. 49), denn seit jeher berühre ich – wo möglich – alte Bauwerke und Skulpturen. Auch meine Archetypen sind täglich in Arbeit, bunt, fröhlich, manchmal auch seltsam anmutend (Nr. 11). Wie man lesen kann, bin ich ein Trickster-Fan geworden, werde das Buch immer wieder, gezielt und sicherlich auch einfach wenn mir danach ist zur Hand nehmen. Die vielen Collagen von Nick Bantock, seine Archetypen die die Übungen begleiten sowie die zauberhaft künstlerische Gestaltung des Buchs und des zum Anfassen angenehmen Umschlags tragen dazu bei, dass es ein Gesamtkunstwerk und wirklicher Schatz ist. Zu empfehlen für alle, die sich nicht davor scheuen auf dem Weg zu sich selbst ein wenig zu investieren, sich bewusst Zeit zu nehmen, sich die Hände schmutzig zu machen und Geduld aufzubringen den Prozess bewusst und unbewusst zu durchlaufen. PS: Ich selbst halte es bezüglich meiner entstandenen Kunstwerke gern mit dem von Nick Bantock zitierten Jack Yeats, der 60 Jahre niemanden in sein Atelier ließ. Denn ich meine: Öffentlichkeit braucht innerliche Vorbereitung darauf.