nadines_buecher
Die in London lebende Britin Jessica Thom hatte bereits als Kind Tics, als sie Mitte 20 war wurde das Tourette-Syndrom bei ihr diagnostiziert. Mit Anfang 30 entschließt sie sich, ein Jahr lang als Tagebuch bzw. Blog aufzuschreiben, wie sie als Superhelding Touretteshero ihren Alltag meistert, wie es ihr gelingt ihre Schwäche Tourette zu ihrer Stärke zu machen. Sie beschreibt vielfältige Episoden aus ihrem täglichen Leben, die so humorig und positiv sind wie die Autorin selbst, manchmal aber auch traurig, verzweifelt und einfach nur wütend machend. Die Zeichnungen, die jeden Monat mit einer speziellen Kapitelüberschrift begleiten, sind von der Autorin selbst und sind ebenso witzig und wunderbar, wie alles was sie aufgeschrieben hat. Jessica Thom gibt nicht nur sachliche Erläuterungen zum Syndrom, sondern führt auch aus wie sich das Syndrom bei ihr äußert: Koprolalie, Echolalie, Kopropraxie, Armtics, Beintics, NOSI, Beißtics, Schlafstörungen, Sprechprobleme, und der Zwang, Dinge zu zählen. Auch berichtet sie, dass noch nicht hinreichend bewiesen ist, ob es sich beim Tourette-Syndrom um eine emotionale oder neurologische Störung handelt. Im Laufe des Jahres, in dem die Leser Touretteshero begleiten, verändern sich Jessicas Tics. Besonders ihre Beintics werden gefährlich, so dass sie sich entschließt einen Rollstuhl zu benutzen. Die WG in der sogenannten Höhle, die sie Jahrelang mit ihrer Schwester „Fat Sister“ und deren Freund „King Russel“ hatte, löst sich nach der Hochzeit der beiden auf, so dass Jessica in die Burg umzieht, eine ebenerdige Wohnung die ganz nach ihren Bedürfnissen ausgestattet wird. Dorthin zieht sie mit ihrer Freundin Poppy, die sich wie ihr Begleiter oder persönlicher Assistent, wie Jessica sagt, schon jahrelang freundschaftlich um sie kümmert. Außerdem gelingt es Jessica mit dem britischen National Health Service und diverser weiterer Einrichtungen eine Arbeitsassistenz, Wohnungsausstattung, Assistenz im Haushalt etc. zu erhalten, um ihre Selbstbestimmung und Eigenständigkeit zu erhalten und zu unterstützen. Alles, weil Jessica offen ist, mit vielen Leuten spricht und so den Mut aufbringt, um Hilfe zu bitten damit sie ihre Lebensqualität erhalten, ja sogar verbessern kann. Dies trägt ebenfalls zu ihrem psychischen Wohlbefinden bei, was sich Jessica zu Beginn ihrer Aufzeichnungen vorgenommen hatte. Ebenso berichtet Jessica von ihrer Arbeit in einer Einrichtung mit Kindern und wie sie den Kindern das Tourette-Syndrom erläutert, wie offen Kinder ihr gegenüber sind und dass es ihr besonders Freude macht, wenn Kinder in ihren eigenen Worten erklären, was Jessica ihnen erläutert hat und sich so integrativ mit Behinderungen auseinandersetzen. Interessant ist ihre Beschreibung der Tics, die sie zwar „im Anflug“ spürt, jedoch so gut wie nicht unterdrücken kann. Sie vergleicht es mit Juckpulver im Blut und dem Versuch, ein Niesen unterdrücken zu wollen. Genauso spannend ist, dass Jessica einmal aufgeschnappte Informationen, an die sie bewusst gar nicht mehr dachte, während eines Tics äußert. So als hätte Tourette entschieden, dass nun der richtige Moment sei um die Information zu Tage zu befördern. Sie schildert Arzt- und Krankenhausbesuche, die sich angenehm gestalten oder aber für sie und die Behandelnden eine Herausforderung sind, Episoden zum Thema „öffentliche Verkehrsmittel“ die hoffnungsvoll, lustig oder aber verstörend sind. Ebenso liefert sie kleine Berichte über das Zusammentreffen mit der Polizei, mit Taxifahrern, anderen Tourettern, Therapien die sie macht, ihrer Rolle als Kundin in Pubs und Geschäften. Kurz all die öffentlichen Orte, in denen sie wie sie sagt – einmal mehr und einmal weniger erfolgreich – Public Relations für ihre Behinderung betreibt, da sie zweifellos aufgrund ihrer Tics in der Öffentlichkeit auffällt. Schließlich, wie sie sagt, hängt Zufriedenheit damit zusammen, wie man behandelt wird. So sind ihr direkte Fragen oder ein „danke für den Hinweis“ wenn sie z.B. während eines Telefonats auf ihre Krankheit hinweist lieber, als angestarrt zu werden oder mit einem „keine Sorge“ belegt zu werden. Fällt es Jessica auch schwer und muss sie sich sehr konzentrieren, um ihr anvertraute Geheimnisse nicht zu verraten, so schimpft sie furchtbar gerne über Geranien und Laternenpfosten. Ganze Gedichte entstehen während länger anhaltender Tics, auch wenn sie stets darauf hinweist, dass sie sich bei Tics auch schwer verletzen kann. Jessica Thom ist es wichtig, dass das Lachen in ihrem Leben und so auch während des Lesens ihres Tagebuchs nicht zu kurz kommt. Schließlich, so hat sie herausgefunden, wird durchschnittlich täglich nur 6 Minuten gelacht, während sie 3 Stunden täglich tict. So hat sie auch mit ihrem Schwager ausgerechnet, dass sie 6 Millionen Kekse im Jahr tict – und das, obwohl sie gar keine Kekse mag!