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gwyn

Posted on 24.2.2020

Der Anfang: «Mrs. Bagot hatte eine sehr kurze gerade Schere, mit den sie alle Blumen schnitt, außer den Rosen. Für die Rosen benutzte sie ein kleines Messer.» Die amerikanische Schriftstellerin Maeve Brennan (1917 bis 1993) wird gerade wiederentdeckt. Ein Leseerlebnis. Etwas mehr über die schillernde Persönlichkeit, die in New York als Fashion-Ikone ihre Karriere begann, dann schnell zum «New-Yorker» wechselte und durch ihre Kolumnen, Buchkritiken, Essays, und Reflexionen zum Zeitgeistgeschehen berühmt wurde, erfährt man in der Biografie «Ich würde so etwas nie ohne Lippenstift lesen». Ihr Lebensmotto lautete: «Bis zum Chaos ist es nur ein kleiner Schritt.» – Sie lebte zu einer Zeit, als die großen Schriftsteller noch ihre Geschichten in Zeitungen abdruckten, dafür gut bezahlt wurden. Mave war eine von ihnen: Frei, unabhängig, stolz, stets elegant im kleinen Schwarzen mit Perlenkette unterwegs, Kaviar und Champagner, Partys feiernd; edel geht die Welt zugrunde, immer über das Limit hinausschießen … Eine Frau, die die einflussreichsten Leute in New York kannte, viele davon ihre Freunde nannte, starb bettelarm, verwahrlost, vereinsamt mitten in New York. Ihre schizophrenen Züge brachten sie aus dem Takt ihres Lebens. Maeve Brennans Geschichten über Delia und Martin Bagot waren damals berühmt; sie zeigen bereits die dunkle Seite der Autorin. Diese Geschichten spielen in einer Reihenhaussiedlung von Dublin. Genau hier ist Meave Brennan aufgewachsen. Mr. Bagot kommt erst nach Hause, wenn Frau und Töchter bereits schlafen – mir Absicht. Und genau darum hat er sich das kleine Zimmer an der Treppe genommen, um niemanden zu stören. Stück für Stück wandern seine Kleidung und seine Bücher auch dort hin. Denn in Wahrheit will er nicht gestört werden. «An Delia war nichts dran. Jetzt ist mir bedeutend wohle. Jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin. Ich wusste immer woran ich mit ihr war, selbst wenn ich nicht wusste, wer sie war, und jetzt weiß ich immer noch nicht, wer sie war, und weiß Gott, ich weiß nicht, woran ich ohne sie bin. Aber an ihr war nichts dran.» Eine Ehe, die in Sprachlosigkeit verfallen ist. Ein Mann, der Ziele hatte – nun ist es sein Ziel, die Familie satt zu bekommen, sein klebendes Anhängsel. Seine Pflicht hält ihn, eine Trennung käme ihm nie in den Sinn. So hält er sich möglichst vom Hause fern. Delia Bagot ist gefesselt ans Haus, die Reihenhaussiedlung mit der Mauer am Ende des Gartens engt sie ein – sie, die vom Land kommt, den Blick ins Weite gewohnt ist. Garten, Kinder Haushalt, tagein, tagaus. Und manchmal träumt sie dahin, fragt sich, ob ihr Mann sie noch liebe. Das Buch beginnt mit dem 12. Hochzeitstag. Delia weckt Martin. Kein Wort kommt ihm über die Lippen. Er hat es vergessen, denkt sie. Doch er weiß, welcher Tag der heutige ist. «Für Sentimentalitäten hatte er nichts übrig. Er wollte in Ruhe gelassen werden.» Delia ärgert sich später, dass sie den Mund nicht aufgemacht hat – das ewige Schweigen. Aber andererseits, sobald ihr Mann aus dem Haus geht, ist der gesamte Haushalt fröhlicher und lebendiger. Martin entdeckt am Abend auf seinem Schreibtisch eine Kristallvase mit einem herrlichen Blumenstrauß aus dem Garten. Sie schafft es auch ohne Worte, ihn zu tadeln. Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. «Was diesen Erinnerungen Leben und Kraft verleiht, ist das schiere Vorhandensein an Liebe, und wenn den Kindheitserinnerungen in einigen Fällen die weichen zarten Farbtöne fehlen, die offene Gefühlsbezeichnungen verleihen, weiß das altgewordene Kind doch ein: das sich unter seiner Hand ein fester Fels verbirgt, der unverrückbar ist.» Man wird den Verdacht nicht los, dass sich hinter dem Ehepaar Bagot ein Teil von Meave Brennans Eltern verbirgt, ein Vater der nie zu Hause war, zunächst im irischen Unabhängigkeitskampf, später in den USA als Diplomat – eine schwierige Ehe. (siehe Biografie) Eine Delia die stets träumt, sich auf ihren Teppich zu setzen und fortzufliegen, der Teppich mit den großen pinkfarbenen Rosen. Ein Martin, der sich hinter der Arbeit versteckt, am liebsten nicht mehr nach Hause zurückehren möchte. Und doch verbindet die beiden ein unsichtbares Band aus Konvention, Gewissen, Pflicht und Zuneigung. Als Delia längst verstorben ist, sagt Martin zu seiner Schwester, an Delia war nichts dran – und dann nimmt er ein Bild von ihr, streicht zärtlich drüber und bemerkt, aber schön war sie, wunderschön. Diese letzte Geschichte ist besonders bissig. Denn sie handelt von der eifersüchtigen Schwester von Martin, Min, die nie geheiratet hatte. Alle hatten sie – die Familie – im Stich gelassen. Und Min hatte alle überlebt: die Mutter, die Schwestern und Martin. Und nun ist dies alles ihr Eigentum, mit dem sie ihre Wohnung schmückt: die Möbel, die Bücher, Martins Ohrensessel, der Teppich mit den pinkfarbenen Rosen – an ihrem Finger trägt sie Martins Ehering. Man muss nur lange genug warten. «In Mins Familie dagegen waren alle Chancen Martin zugeflogen, weil er der Junge war, und als er sein Elternhaus verließ, nahm er ihrer aller Chancen mit. Und verspielte sie, weil er für den Rest seines Lebens nichts tat – schließlich war er ja gebunden und musste sich abrackern, um Frau und Kinder durchzubringen. Er war zu einem Niemand geworden.» Melancholisch beschreibt Maeve Brennan die Beziehung des Ehepaars Bagot. Reflektierte Gedanken, Träume, aber kein Wort miteinander sprechend, nebeneinander her lebend, ohne Hass, nur unerträglich in Fesseln gelegt. Das Leben ist eine Hölle, aus der man keinen Ausgang findet – man findet sich damit ab. Distanziert und zynisch in der Beobachtung ihrer Protagonisten - detailliert und ausschweifend zoomt sie auf Dinge: Hier ist die Autorin atmosphärisch dicht, bis ins letzte Detail – teils ermüdend genau. Punktgenaue Sprache, üppige Vignetten. Maeve Brennans Bücher mit ihren Kurzgeschichten wurden begeistert vom damaligen Publikum aufgenommen. Sie ist 1917 in Dublin geboren, übersiedelte 1934 mit ihrer Familie in die USA. Im New Yorker veröffentlichte sie Kolumnen, Erzählungen, Buchbesprechungen, Essays und Erinnerungen. Maeve Brennan starb 1993 in New York.

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