heidi_59
Ein neues Blau" entführt mich auf eine wunderbare Zeitreise in das Berlin der frühen 20er bis 30er Jahre . Hin zu Lili und ihren Vater Jakob Kuhn, einem wohlhabenden jüdischen Teehändler . Ihre Mutter Charlotte hingegen war Christin . Beide Eltern haben ihren Glauben nie streng praktiziert und ließen dem anderen die Freiheit seines eigenen Glauben . Charlotte ist vor einiger Zeit an der spanischen Grippe gestorben . Vater und Tochter sind untröstlich über den großen Verlust und bilden eine geschlossene Einheit , zusammen mit Takeshi , dem besten Freund der Familie , der seit Lilis 6. Lebensjahr mit im Haushalt lebt . Er kümmert sich um Lili wenn Jakob auf Geschäftsreise ist , unterrichtet sie in der japanischen Teekultur , gibt ihr Halt und anwendbare Lebensweisheiten mit auf ihren täglichen Weg ins Leben . Rabbi Teichlmann versucht indessen Lili an den jüdischen Glauben heranzuführen , was ihm eigendlich nie so richtig gelingt . Sie bleibt trotz jahrelangem Unterricht bei ihm weiterhin ein Kind mit einem Elternteil , sowie sie nur eine halbe Jüdin ist . Trotzalledem kann man sagen das Lili eine durchaus glückliche Kindheit hatte , mit ihrem Vater und Takeshi , dessen Name übersetzt "Beschützer" bedeutet . Als junge Frau lernt sie durch einen Zufall Günther von Pechmann , den Direktor der Königlichen Porzellan-Manufaktur kennen. Durch ihn findet Lili ihre wahre Bestimmung: die Welt des Porzellans. Für eine Zeitlang kümmert sich Lili tagsüber um die zwei Kinder der von Pechmann , doch dann geht sie bei der ehemaligen Bauhaus Aktivistin Maguerite Fridlaender in die Töpferausbildung , um die Herstellung von Porzellan zu erlernen. In der Malklasse von Erwin Hahs , erlernt Lili zudem die hohe Kunst der Porzellanmalerei . Sie ist sehr ehrgeizig und erreicht viel in ihrem jungen Leben . Selbst der Himmel ist vor ihrem Tatendrang nicht sicher, seit sie den Pilotenschein gemacht hat . Doch dann kommt die Zeit der Nationalsozialisten und Lili muss aus Berlin flüchten . Denn plötzlich ist sie nach den Nürnberger Rassengesetze keine halbe Jüdin mehr , sondern eine "ganze Jüdin" , durch und durch . im Berlin von 1989 lernen sich die 18 jährige Schülerin und widerspenstige Querdenkerin Anja und die über Achtzigjährige Lili kennen , die wieder zurückgezogen in Charlottenburg lebt . Lilis Sohn Michael hat hinter ihrem Rücken nach einer Gesellschafterin für seine Mutter gesucht , damit diese nach dem Tod ihres liebsten Freundes nicht vereinsamt. Er hat zudem die Hoffnung, dass Anja und seine Mutter sich gut verstehen und vielleicht über ihre Probleme reden können . Lili spricht nicht viel über ihr bewegtes Leben und schon gar nicht mit ihm . Seine Hoffnung scheint berechtigt, die beiden Frauen finden schnell eine Verbindung zueinander . Lili öffnet sich Anja bei jedem Besuch etwas mehr , bringt ihr das Töpfern bei und erzählt dabei Stück für Stück die Geschichte ihres Lebens . Im Gegenzug erzählt Anja von ihren Problem . Die beiden Frauen entdecken dabei mehr als nur eine Gemeinsamkeit . Zitat im Buch S.31 ~~Und plötzlich wird mir klar , sie braucht gar keine Gesellschafterin . Stattdessen benötigt sie eine Zeugin. Für all die Dinge , die sie erlebt hat. …..Deswegen hat sie mich engagiert. Für nichts anderes.~~ Tom Saller hat hier einen ausdrucksstarken Roman geschrieben , der gleichzeitig von zarter und feinfühliger Natur ist . Fast scheint es mir , als wenn der Autor sich die filigrane Kunst der Porzellanherstellung , vom Entwurf bis zum letzten Brennen und Bemalen der hauchdünnen , vollkommenen und exakt ausbalancierten Teeschale, auch für seine Schreibweise der Erzählung , zum Vorbild gemacht hat. Jedes neue Kapitel beginnt mit einer Begrüßung des Abschnitts und erzählt seine eigene Geschichte . Danach kommt die Erklärung , wie es dazu gekommen ist und warum . So wird der Leser unmerklich immer weiter in die Geschichte gezogen und fühlt sich zutiefst mit den Protagonisten verbunden . Freude , Glück , Angst und Leid , bekommen hier ein Gesicht und sind ein emotionaler Begleiter , der fesselnden Geschichte von Lilis und auch Anjas Familie . Über allen liegt ein zarter Hauch von Poesie, der sich dem anspruchsvollen Leser erschließt. Zitat im Buch, S.29 ”Heißt es nicht Scherben bringen Glück ?” fragte sie, deswegen sammele ich sie vorsichtshalber.” Die Königliche Porzellan - Manufaktur in Berlin ,gegründet von Friedrich dem Zweiten , dessen Schöngeist für die Porzellanherstellung und die “Geburt” des Farbton “bleu mourant” , verantwortlich ist , zieht sich wie ein “blauer Faden” durch die berührende Erzählung und Lilis Leben . Die Geschichte des Porzellan, hauchzart und doch so stark in seiner zerbrechlichen Schönheit , steht hier für mich , wie ein Symbol , für die Stärken und Schwächen der Menschen, im Allgemeinen und in dieser Geschichte. “Ein neues Blau” von Tom Saller , hat mich mehr als begeistert ! Es hat mich berührt mit der Feinfühligkeit seiner tiefgründigen Geschichte . Sehr gerne vergebe ich für diesen anspruchsvollen Roman sehr gute 5 Sterne und meine absolute Leseempfehlung @heidi_59