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seehase1977

Posted on 21.2.2020

Erschreckend realistischer und provozierender Debütroman mit schwachem Ende Hundert Wörter am Tag. Mehr dürfen Frauen ab sofort laut Regierung und Gesetz nicht mehr sprechen. Jean McClellan kann es nicht glauben. Sowas kann nicht passieren. Nicht in Amerika des 21. Jahrhunderts. Doch Jean lernt schnell, dass dieses Gesetz ab sofort nicht nur ihr Leben, sondern auch das tausender anderer Frauen bestimmen wird. Sie können Ihre Berufe nicht mehr ausüben, die Mädchen lernen in der Schule weder lesen noch schreiben. Sie alle werden ihres Stimmrechts, ihres Lebensmuts und ihrer Träume beraubt. Doch Jean rebelliert und ein Kampf, David gegen Goliath beginnt... Meine Meinung: Der Roman „VOX“ von Christina Dalcher hat, zugegeben, aufgrund der vielen unterschiedlichen Leser-Reaktionen meine Neugier geweckt. Das bemerkenswerte Debüt spaltet offensichtlich die Lesewelt und ich wollte mir auf jeden Fall meine eigene Meinung dazu bilden. Das Szenario liest sich erschreckend realistisch und fesselnd und doch konnte mich Dalcher nicht in Gänze überzeugen. Während Jean und ihre Tochter Sonia nur noch 100 Wörter am Tag reden dürfen und ein unscheinbares und dennoch angsteinflößendes Armband an ihren Handgelenken sie stets daran erinnert, ändert sich für ihren Mann und ihre Söhne nichts. Patrick kann seinem Job weiterhin nachgehen, doch Jean, die angesehene Wissenschaftlerin putzt stattdessen schweigend das Haus. Jean bemerkt besorgt, wie sich ihre Tochter Sonia immer mehr in sich zurückzieht und wie ihr ältester Sohn Steven unter der gesetzlichen Gehirnwäsche förmlich aufblüht. Als Jean ein ungewöhnliches Angebot erhält weiß sie, dass sie ihre Chance nutzen muss. Das unglaubliche Szenario, das Christina Dalcher mit packendem aber nüchternem Schreibstil beschreibt, wirkt erschreckend realistisch und hat mich förmlich durch die ersten zwei Drittel des Buches gepeitscht. Gefühle wie Wut und Unglauben waren dabei mein ständiger Begleiter. Gebannt treibt man auf ein hoffentlich fulminantes Ende zu, was leider nicht kommt. Das letzte Drittel hat mich wirklich enttäuscht. Die Auflösung ist unglaubwürdig, wird viel zu schnell abgehandelt, ist undurchschaubar und im Ergebnis für mich nicht konsequent durchdacht Zu viele Fragen bleiben offen. Sehr schade, da es leider so überhaupt nicht zum restlichen, ja fast schon Thriller ähnlichen Plot passt. Jean als Hauptprotagonistin war für mich zwar alles andere als eine Sympathieträgerin, dennoch bewundere ich ihren Mut und ihren Kampf für eine lebenswertere Zukunft, für sich, ihre Tochter und all die anderen Frauen und Mädchen. Alle anderen Protagonisten bleiben, bis vielleicht auf Jeans Kinder für mich eher unnahbar und blass, was ich aber nicht als ein Manko einordnen würde. Mein Fazit: Der gesellschaftskritische und provozierende Debüt-Roman „VOX“ von Christina Dalcher hat viele Facetten. Für mich war er zum Beispiel ebenso Thriller wie Dystopie und hat mich bis zur ungefähr dreihundertsten Seite grandios und mit großer Intensität unterhalten. Leider hat das Buch sein schwaches und viel zu hastig abgehandeltes Ende nicht verdient, was sehr schade ist. Trotz dem leicht bitteren Nachgeschmack kann ich für „VOX“ eine, wenn auch nicht hundertprozentige Leseempfehlung aussprechen.

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