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Caillean

Posted on 20.2.2020

Eine zwiespältige Geschichte über ein zweigeteiltes Deutschland Dieses Buch erzählt die Geschichte einer deutschen Familie in Deutschland. Was nichts Besonderes wäre, wenn sich diese Geschichte nicht in einem zweigeteilten Deutschland abge-spielt und das Leben aller Beteiligten dramatisch verändert hätte. Lotti berichtet als Ich-Erzählerin von ihrem und dem Leben ihrer Familie von ihrer Kindheit bis zur Ausreise in die BRD. Sie kommt in den 1950er Jahren als Kind mit ihren Geschwistern von Bayern nach Erfurt, von der BRD in die DDR. An sich schon ungewöhnlich und für mich als DDR-Kind interessant, denn ich dachte immer alle wollen nur in den Westen… hier war es andersherum. Allerdings war das auch vor dem Mauerbau – und danach sah sich die Familie eingesperrt in einem Land, das nicht ihres war. In diesem ersten Drittel des Buches blieben mir die Familie und auch Lotti etwas fremd. Die Familie pflegte weiterhin ihr bayerisches Brauchtum und die Autorin sparte an dieser Stelle nicht an Klischees („Mia san mia“, S. 62). An dieser Stelle befremdete mich die Geschichte etwas, denn ich hoffte doch, etwas über die Schwierigkeiten und Repressalien zu erfahren, mit denen die Familie konfrontiert war. Erst ab ca. Seite 150 wurde es für mich wirklich interessant, denn dann ging es um die Republikflucht von Lottis Bruder und die Auswirkungen, die das auf die Familie hatte. Diese Schilderungen fand ich sehr spannend, denn da wird ein Stück Zeitgeschichte auf der Grundlage tatsächlicher Begebenheiten erzählt (im Nachwort erfährt man dies von der Person, die für Lotti Pate stand). Mit der sprachlichen Umsetzung durch die Autorin habe ich mich zum Teil aber schwer getan. Ich möchte fast die Hand dafür ins Feuer legen, dass Anfang der 80er Jahre in der DDR niemand von einem „Job“ gesprochen oder „Wir haben Po-wer!“ gesagt hat, geschweige denn das Wort „cool“ im Alltag verwendet hat. Anglizismen gab es nach meiner Erinnerung in der DDR so gut wie gar nicht – und sie wurden auch nicht gern gesehen. Neben der deutsch-deutschen Geschichte im historischen Teil des Buches wird parallel noch einen weiterer Erzählstrang aufgemacht – die Jahre 2010/2011, in denen sich Lotti um ihren mittlerweile pflegebedürftigen Bruder kümmert. In diesem Teil steht der Umgang mit Pflegebedürftigen im Vordergrund. Hier wird Lotti als fast schon übereifrige Schwester geschildert, die ihrem vom Schlaganfall und Krebsleiden gezeichneten Bruder eine angenehme restliche Zeit bereiten will. Lottis hingebungsvolle und kämpferische Art empfand ich einerseits als bewundernswert, andererseits zum Teil schon fast als besessen, was mir ein ambivalentes Verhältnis zur Hauptfigur bescherte. Insgesamt lässt mich das Buch mit einer zwiegespaltenen Meinung zurück. Die Schilderungen der Lebensbedingungen von Personen, welche unter Stasi-Beobachtung standen, sind grandios. Der Rest des Buches geht daneben für mich ein wenig unter.

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