duchess_of_marvellous_books
Wisst ihr noch, wo ihr am 23. Juni 2016 wart? Ich weiß es noch ganz genau — ich war in Oxford, an einem Tag, der England und Europa für immer verändern sollte, einer der in die Geschichte einging, der Tag, an dem die Briten den Brexit beschlossen. Ich kann mich genau daran erinnern, wie ich mit Freunden in einem urigen Pub saß, ich höre noch das Raunen, das ungläubige Staunen und die minutenlange Stille nach der Entscheidung. Ich hatte die letzten 4 Jahre noch gehofft, sie würden in der EU bleiben, doch leider ist der Traum vor ein paar Wochen zerplatzt. Aber wie konnte es nur soweit kommen? Auf diese Frage gibt Nele Pollatschek mit ihrem Buch „Dear Oxbride“ aus dem Galiani Verlag Antworten. „Dear Oxbridge“ ist ein berührender, witziger Insiderbericht aus den Eliten-Universitäten Oxford und Cambridge, einer jungen deutschen Frau, die seit ihrer Jugend eine Obsession für diese beiden Städte hat und unbedingt dort studieren wollte. Sie schaffte es und traf dort auf komische Rote Hosen sowie die exzentrischen Verhaltensweisen der Elite. Wunderbare Erfahrungen, Putschversuche und obsessiver Lesehunger waren genauso Teil ihrer Zeit wie verstopfte Toiletten, zugige Fenster und unbedingt benötigte Heizdecken (auch ich hatte eine). Sie zeigt auf, dass in Oxbridge das Überzeugen, Glitzern und Argumentieren wichtiger sind als echtes Wissen. Wie ein lebenslanger Traum Realität wird, aber Träume oft im realen Leben gar nicht so schillernd sind. Charmant und ehrlich legt sie all die witzigen Eigenheiten der Engländer offen, erklärt, was diese ausmacht, was dort schiefgelaufen ist und wie es verdammt noch mal zum Brexit kommen konnte. Ein hoch aktuelles, informatives Buch, mit einem großartigen, eloquenten Schreibstil, der gefärbt ist vom britischen, trockenen Humor. Äußerst unterhaltsam! Darüber hinaus ist die Autorin eine intelligente und scharfsinnige Beobachterin, die den Leser mit ihren Darstellungen fesselt, erhellt und häufig herzlich zum Lachen bringt. Selten habe ich mich in einem Buch so wiedergefunden, wie in diesem. Viele Erfahrungen, die sie gemacht hat, machte auch ich dort. Wunderbar und sehr authentisch! Die Autorin analysiert klug die Situation, zeigt Fehler auf, bleibt dabei aber liebevoll und wertschätzend, ohne belehrend zu wirken. In jeder Zeile wird die Liebe zu dieser bezaubernden Insel sichtbar. Eine große Portion Selbstironie und Ehrlichkeit runden das Gesamtbild ab. Der proklamierte „Liebesbrief” offenbart sich erst zum Schluß, aber wie bei einem guten Essay, die stärksten Argumente werden am Ende erörtert:) Hut ab, ein grandioses Buch! Es ist eine Möglichkeit hinter die Türen, der sonst so verschlossenen Elite zu blicken. Für alle England-Fans ein Muss, jene, die den Brexit besser verstehen wollen und auch für alle anderen.