Maya Rottenmeier
In „Sie hat Bock“ geht es um untenrum, na ihr wisst schon, was ich meine; um die dunkle Höhle, die ab und an Begegnung mit einem Zauberstab hat. Was? Nein um Himmelswillen, wir sind hier nicht bei Harry Potter gelandet, wie kommt ihr bloß darauf? Ich dachte, ich hätte mich deutlich genug ausgedrückt. Spaß beiseite, liebe Leser, jetzt wird‘s ernst: Zeit offen miteinander zureden und ihr müsst keine Angst haben, das Lord Voldemort um die Ecke kommt, nur weil hier alles beim Namen genannt wird. „Sie hat Bock“ zeigt auf, wie tabuisiert unsere heutige Gesellschaft ist, ja selbst unsere Sprache im Hinblick auf gewisse Körperregionen. Bücher dieser Qualität sollten in der Schule gelesen werden, um endlich mit falschen Moralvorstellungen und Mythen aufzuräumen, die häufig das spätere Liebesleben prägen. Die Autorin lässt mich zwischen ihre Beine gucken und dafür brauche ich mich nicht zu schämen. Was ich total witzig finde, ist die Tatsache, dass Frau Lewina gegen Push Up-BH’s die gleiche Abneigung hat wie ich. Die Sprache in ihrem Buch ist direkt und es liest sich wie ein Befreiungsschlag. Viele Schwerpunktthemen sind mir bekannt, bei anderen bringt Frau Lewina mich dazu, sie zu hinterfragen, und ich verstehe nicht, weshalb ich einiges davon immer widerspruchslos akzeptiert habe. Sie plaudert ungeschönt über eigene Erlebnisse. Ihr sprachlicher Gestus ist oft distanziert, schamlos, dabei immer direkt und etwas humorvoll. Ihre ehrliche und offene Einstellung vermittelt ein Selbstverständnis, auch ihren Kindern Gegenübern, das ich großartig finde. Das Buch teilt sich in 29 Kapitel von angenehmer Länge. Frau Lewina spricht über kindliche Erfahrungen, den ersten Besuch beim Frauenarzt, genauso, wie von Unterwerfung, vorgetäuschte Höhepunkte, Intimrasur und wechselnde Partner in einer offenen Beziehung. Verschiedene Praktiken, Gerüche und Körperflüssigkeiten werden dabei nicht ausgespart. Ihr ist nichts peinlich und ebenso glaubhaft vermittelt sie, dass sich eine Frau für nichts an ihrem Körper schämen muss. Sie schildert ihre Erlebnisse, manchmal lebhaft, dann kühl, was bei einigen Erzählungen besser ist. Frau Lewina hat neben Schönem auch Schlimmes erlebt und die Distanz in ihren Worten macht es in diesen Momenten für sie vielleicht erträglicher. Die Texte beeindrucken durch ihre Authentizität. Frau Lewina hält weder ihre frühkindliche Naivität zurück, noch ihre späteren Lusterlebnisse und zu welchen Recherchen sie diese geführt haben. Wie fest verankert fragwürdige Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft sind, erlebe ich in Leserunden. Hier werden selbst weibliche Nebenfiguren aus Büchern von den Leserinnen gnadenlos in die Kategorien gut/anständig und schlecht/billig sortiert, sobald sie oft wechselnde Partner haben. Und das nur, weil sie sich das Recht nehmen, ihre Lust zu leben. Und diese Verurteilungen von unseresgleichen zu lesen, nicht zwingend von Männern, erschrecken mich. Und so lange es die Freiheit für die Frau, ihr Liebesleben so zu gestalten wie sie es will, es nicht einmal in Bücher schafft, wie soll sie da in unserer Gesellschaft Einzug halten? Die heuchlerische Doppelmoral, die bei vielen vorherrscht, stößt mich ab und gerade von jungen Frauen habe ich in der heutigen Zeit mehr gelebte Freizügigkeit und Entfaltung erwartet - aber Fehlanzeige! Stattdessen boomen Schönheitsoperationen, die nicht einmal vor dem Genital halt machen, nur um einer fragwürdigen Norm zu entsprechen. Wo bleibt da die Selbstliebe und die Freiheit so zu sein, wie Frau eben von Natur aus ist. „Sie hat Bock“ stimmt einen Song auf den verdammt bewundernswerten Körper jeder Frau an und diesem Lied lausche ich mit größter Verzückung. Ich hoffe, diese Noten erreichen alle Frauen dieser Welt. Das Buch revolutioniert sicher nicht das Weltverständnis auf das bestehende Frauenbild, aber es bringt hoffentlich mehr eigenes Verständnis für die persönlichen Bedürfnisse auf und schenkt damit innere Freiheit. Mein Fazit: Ich identifiziere mich nicht mit jeder Aussage von Frau Lewina. Dazu sind wir Frauen einfach zu individuell. Persönlich möchte ich keine Dreadlocks an, oder zwischen den Beinen züchten. Ganz einfach aus dem Grund, weil es mir nicht gefällt. Und genauso unterschiedlich ticken wir Frauen in Sachen Liebe. Aber wie sollen Männer sich in diesem Dschungel aus Lügenkonstrukten und auferlegten Dogmen zurechtfinden, wenn es viele Frauen schon nicht schaffen. Dieses wertvolle Buch kann ein hilfreicher Wegweiser für jede Frau sein und hat mich wunderbar unterhalten. Von mir bekommt „Sie hat Bock“ 5 befreiende Sterne von 5 und eine unbedingte und absolute Leseempfehlung.