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stricki

Posted on 19.2.2020

Lebensbedrohlich Der Syrienkrieg ist immer noch in vollem Gange. Die Menschen flüchten immer noch, fürchten um ihr Leben. Berichten die Nachrichten darüber, schalte ich weg. Wie berichtet man über Krieg? Wie bringt man den Menschen, die nie einen Krieg erlebt haben, das Grauen nahe? Wie erklärt man, warum Revolutionen scheitern, warum sie blutig niedergeschlagen werden? Olga Grjasnowa weiß, worüber sie schreibt. Sie kam selber mit elf Jahren als sogenannter Kontingentflüchtling nach Deutschland, ihr Ehemann ist Syrer. Die beiden haben eine Zeitlang in Istanbul gewohnt, wurden dort täglich mit dem Schicksal der syrischen Flüchtlingen konfrontiert. In "Gott ist nicht schüchtern" geht es um Amal und Hammoudi. Amal, eine junge Schauspielerin mit vermögendem Vater, spielt mit der Gefahr. Sie besucht die Demonstrationen des arabischen Frühlings. Sie vertraut darauf, dass die westlichen Medien darüber berichten und dass die dringend nötige Revolution das gewünschte Ergebnis hervor bringt. Ein fataler Irrtum. Hammoudi lebt in Paris, er ist ein aufstrebender junger Chirurg, der sich in Frankreich ein wunderbares Leben aufgebaut hat. Er reist nach Syrien, um eine Formalie zu erledigen, er muss seinen Pass verlängern. Ihm wird die Ausreise verweigert, von einer Sekunde auf die andere verändert sich sein Leben radikal. Grjasnowa schafft es, dem Leser die politische Situation anhand der beiden Protagonisten nahe zu bringen. Dabei schont sie niemand. Schonungslos berichtet sie, wie Amal durch ihre bloße Beteiligung an Demonstrationen ins Visier des Geheimdienstes rückt, wie ihr Leben von heute auf morgen auf dem Spiel steht und sie mehrere Male nur doch einflussreiche Beziehungen und viel Schmiergeld überlebt. Trotzdem wird auch sie Opfer von Gewalt und Demütigung, ihr Freund landet im Gefängnis, wird gefoltert. Beide müssen flüchten. Hammoudi ist gezwungen, in Syrien zu bleiben, er verliert seinen neuen Job in Paris, seine Beziehung geht in die Brüche. Er erkennt, dass die Revolution im Land viele Verletzte hervorbringt - und dass das Regime den Ärzten verbietet, diesen Menschen zu helfen. Er engagiert sich, aus dem einst oberflächlichen, unpolitischen Jungspund wird ein engagierter Arzt, der hilft wo er nur kann. Bis auch sein Leben in Gefahr ist und er schnellstmöglich flüchten muss. Die lebensgefährliche Flucht übers Mittelmeer, die Ankunft in Europa, der Aufbau eines neuen Lebens für Amal, für Hammoudi. Was für ein Abstieg für die beiden jungen Menschen, deren Leben so vielversprechend begann. In kurzen Kapiteln erzählt Grjasnowa abwechselnd, was den beiden widerfährt. Dabei erfährt man viel über die politische Lage im Land, wie sich der Terror konkret in den Familien auswirkt. Das Grauen und die Verzweiflung ist deutlich spürbar, das Buch verlangt dem Leser viel ab. Nun ja, das Grauen des Buches spielt sich in der eigenen Fantasie ab, wobei mir das Geschehen sehr realistisch vorkommt. Sie schreibt schonungslos und spannend, und trotzdem mit sehr viel Gefühl. "Oft kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, aber die Nazis kennen keinen Krieg und ziehen deshalb meistens den Kürzeren."(S.305) Dieser Zitat sagt für mich so viel aus über dieses Buch. Bücher wie dieses sind wichtig für unsere Gesellschaft. Leseempfehlung!

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