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stricki

Posted on 18.2.2020

Dieses Buch ist köstlich zu lesen, auch wenn es immer wieder schwer unappetitlich zugeht und einem der Bissen im Halse stecken bleibt, vor Überraschung und vor Empörung. Es beginnt ganz harmlos, vier Menschen gehen ins Nobelrestaurant, der erfolgreichere der beiden Brüder lädt ein, und der andere erstickt fast an seinem Neid. Doch es geht nicht um die Rivalität der beiden Bruder, oder nur am Rande. Beide haben pubertierende Söhne, 15-jährig, die etwas ausgefressen haben ... Ansonsten, alles gut, zwei glückliche Familien, zwei nette Ehefrauen, ein Abendessen, Smalltalk, das Übliche. Nach und nach erfährt der Leser mehr, vom nicht so erfolgreichen Bruder, dem suspendierten Lehrer Paul, der sich nicht immer so ganz im Zaum halten kann. Auch wenn andere ihn kritisieren, Paul steht zu sich und seiner Meinung. Er und Claire, seine Frau, sind ein gutes Team, ein glückliches Paar, Sohnemann Michel das krönende Sahnehäubchen. Herman Koch agiert geschickt, er weckt viel Sympathie beim Leser für den armen Paul, dessen Nerven arg strapaziert werden, der seine Familie über alles liebt. Eine Erkrankung gibt eine plausible Erklärung ab für sein teilweise fragwürdiges Denken und Handeln ... Die Tat der Kids - ein Schock. Es geht hier nicht um einen albernen Streich, sondern um eine schlimme, moralisch absolut verwerfliche Tat. Die Eltern suchen nach Erklärungen, bagatellisieren, relativieren. Denn sie wissen nicht, was sie tun. Sie sind noch so jung, haben ihr Leben doch noch vor sich. Es gibt die Chance, alles unter den Teppich zu kehren - machen oder nicht? Hier gehen die Meinungen der vier Erwachsenen auseinander, und zwar ganz anders als gedacht. Die Entscheidung wird gefällt, wie in dieser Geschichte viele Probleme gelöst werden, ein genialer Einfall des Autors. Spannend bis zur letzten Minute. Und als Leser will ich die ganze Zeit rufen: Wundert ihr euch? Euer Kind ist das Kind seiner Eltern, er imitiert, was ihm vorgelebt wird, seht ihr das denn nicht? Schützen die Eltern ihr Kind, oder rechtfertigen sie damit lediglich ihr eigenes Handeln? Diese Frage muss dringend gestellt werden. Vermutlich ist es beides. Die Geschichte ist, obwohl schwere Kost, leichfüßig und amüsant geschrieben. Die Idee mit dem Restaurantbesuch und den verschiedenen Gängen, in den die Story eingewoben wurde, originell und aufgrund ihrer Überschaubarkeit sehr angenehm. Man kann sich voll auf die Geschehnisse und die moralischen Abgründe konzentrieren, ohne sich lange mit schmückendem Beiwerk aufhalten zu müssen. Eine wunderbare Lektüre, der ich gerne 4,5 Sterne gebe.

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