seehase1977
Abgründiges Stockholm – eine gelungene, wieder sehr atmosphärische Fortsetzung Jean Michael Cardell ist nach den letztjährigen Ermittlungen zusammen mit Cecil Winge wieder das, was er vor den Ereignissen im Jahr 1793 war. Ein einarmiger Stadtknecht und Säufer ohne Perspektive. Sein Freund ist tot, sein Leben ohne Sinn. Doch dann kontaktiert ihn eine Frau, deren Tochter in ihrer Hochzeitsnacht auf grausame Weise zugerichtet und getötet wurde. Der mutmaßliche Täter, der frisch vermählte, adelige Ehemann, der unverzüglich ins Irrenhaus am Rande Stockholms eingewiesen wurde. Die Mutter der toten jungen Frau zweifelt an der Schuld des Mannes und bittet Cardell um Hilfe. Erneut taucht der Stadtknecht tief in die Abgründe, den Morast und den Dreck der Stadt, die noch düsterer und gefährlicher zu sein scheint als je zuvor. Doch Cardell bekommt auch Hilfe von gänzlich unerwarteter Seite… Meine Meinung: Niklas Natt och Dag hat mich letztes Jahr mit dem historischen Thriller „1793“ überrascht und begeistert. Ein historischer Thriller mit düsterem Setting, einem vielschichtigen Plot und gut gezeichneten Protagonisten. Die Messlatte für die Fortsetzung „1974“ lag also hoch. Doch diese hat der Autor mühelos überwunden, der zweite Teil begegnet seinem Vorgänger auf absoluter Augenhöhe! "Der Wahnsinn regiert in Stockholm. Ihm Einhalt gebieten zu wollen wäre fruchtlos." Wieder ist es der intensive Erzählstil des Autors, der mich mit seiner packenden Vielschichtigkeit, den kleinen Details und den historischen Hintergründen von Beginn an mitreißt und mich in ein einzigartiges Wechselbad der Gefühle versetzt, aber auch die gekonnt inszenierte Handlung erfüllt mit Begeisterung. Auch im zweiten Teil gibt es vier verschiedene Handlungsstränge, die in diesem Fall in die vier Jahreszeiten unterteilt sind, rote Fäden, die – wie ich mittlerweile weiß – am Ende zu einem Großen und Ganzen zusammenlaufen werden. Ich bin nicht mehr verwirrt, sondern lasse mich ganz darauf ein, tauche tief in die Story ein und lasse mich von der dichten Atmosphäre und von der Spannung tragen, verfolge gebannt die Ermittlungen von Cardell und allen Beteiligten und kann es kaum bis zum aufklärenden, stimmigen und wieder absolut überraschenden Ende erwarten. "Wann immer ein Sklavenschiff den Hafen anlief, fesselte die Mannschaft die neuen Sklaven mit rostigen Ketten aneinander, brachte sie an Land - wo jeder sich mit zugehaltener Nase von ihnen abwandte - und dann hinunter an den Strand, wo sie sich die Dreckkrusten abwuschen, bevor sie ein Stückchen weiter in der Sklavenbörse verkauft wurden." Schonungslose Brutalität begleitet auch hier die Handlung. Besonders anschaulich für mich auf der Karibikinsel St. Barthelemy, eine zu dieser Zeit schwedische Kronkolonie. Der Autor beschreibt die Schrecken und unvorstellbaren Gräueltaten der Sklaverei besonders ausgeprägt und gnadenlos. Die Protagonisten sind fein gezeichnete Charaktere, teils völlig kaputte Existenzen, die eine ganz eigene Faszination ausstrahlen, der man sich nicht entziehen kann und die perfekt mit Handlung und Setting verschmelzen. Mein Fazit: Auch in „1794“ spielt Niklas Natt och Dag mit den Nerven seiner Leser und entführt sie in das verruchte, gefährliche und brutale Stockholm der damaligen Zeit. Setting, Handlung und Protagonisten ergeben zusammen erneut eine großartige Story.