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Ann-Kathrin

Posted on 16.2.2020

An dieser Stelle meinen herzlichsten Dank an den Loewe Verlag und Literaturest für das Rezensionsexemplar. „Im Februar 2015 erschien im New York Times Magazine unter der Überschrift The Fire on the 57 Bus ein längerer Artikel der Journalistin Dashka Slater über einen Vorfall, der sich eineinhalb Jahre zuvor in Oakland ereignet hatte. Ein afroamerikanischer Teenager setzt die Kleidung eines Gleichaltrigen in Brand, der genderqueer ist. Sashas und Richards Schicksal ließ Dashka Slater nicht mehr los, so dass aus dem Artikel dieses Buch entstanden ist. Sie erzählt darin von Sashas ungewöhnlicher fantasievoller Kindheit, dem Coming-Out, den Krankenhausaufenthalten, aber auch von der Unterstützung, die Sasha erfährt, nicht nur in der LGBTQ-Community. Genauso sorgfältig arbeitet sie Richards Geschichte auf und wirft einen Blick auf ein Justizsystem, das afroamerikanische Jugendliche anders zu behandeln scheint als weiße. Die Staatsanwaltschaft stuft Richards Tat zunächst als Hate-Crime ein, wodurch ihm ein Verfahren unter Erwachsenenstrafrecht droht und damit eine womöglich lebenslange Haftstrafe.“ Quelle https://www.loewe-verlag.de/titel-0-0/bus_57-8995/ Das Buch unterteilt sich in vier Teile. Vorneweg gibt es „Anmerkungen der Autorin“, „Montag, 4. November 2013“ und „Oakland, Kalifornien“. Die Einführung habe ich als sehr hilfreich empfunden, da ich ansonsten bestimmt über die verwendeten Pronomen gestolpert wäre. Außerdem wusste ich so gleich, worauf ich mich einstellen kann. Des Weiteren untergliedert sich das Buch in vier Teile: • Sasha • Richard • Das Feuer • Justiz Mir persönlich hat die Unterteilung wirklich sehr gut gefallen. Erst lernen wir Sasha und seine Entwicklung kennen. Früh bemerkt Sasha, dass sers (bevorzugtes Pronomen von Sasha) sich weder in weiblich noch in männlich eingliedern möchte und bezeichnete sich selbst als agender. Sers geht in seinem sozialen Umfeld, bei seinen Freunden, sehr offen damit um und stößt dabei ebenfalls auf große Offenheit. Auch sers Eltern gehen sehr tolerant mit der Situation um und versuchen alles, die Wünsche von Sasha zu respektieren und zu integrieren. Als Leser erfährt man, dass Sasha in einem sehr stabilen Umfeld aufwächst, auf eine tolerante und anerkannte Schule geht und in sers Entwicklung komplett unterstützt wird. Wir erfahren von Höhen und Tiefen, von Hass und Offenheit, von politischem Engagement, Familie und Freundschaft. Bis zu dem Tag, an dem Sashas Rock angezündet wird. Auch den Weg danach erfahren wir und was dieses Ereignis mit Sasha macht. Direkt im zweiten Teil lernen wir Richard kennen. Schnell wird deutlich, dass Richards Leben so ganz anders verlaufen ist, als das von Sasha. Auch Richard wächst in einer liebevollen Familie auf, die es allerdings immer schwer hatte. Früh gerät Richard in die falschen Kreise, dabei will er nur dazu gehören und Freunde finden. Mit der Schule nimmt er es nicht so genau und wird schon in jungen Jahren vorbestraft. Richard ist ein herzensguter Kerl, der allerdings immer wieder auf die schiefe Bahn gerät. Selbst, als gerade alles besser zu laufen scheint und er dann aus einer dummen Idee heraus Sashas Rock anzündet und sein Schicksal damit besiegelt. Auch seinen Weg lernen wir kennen, verfolgen alles weitere und vor allem, wie es mit ihm nach diesem Ereignis weitergeht. Der dritte Teil thematisiert das Feuer, das Richard gelegt hat mit all seinen Folgen, Konsequenzen und Reportagen. Sehr genau untersucht Dashka Slater hier die eigentliche Tat, was Richard dazu bewogen hat, wie es mit Sasha weiterging und beleuchtet wirklich alles. Es gibt Aufzeichnungen von der Vernehmung Richards, der schnell eine Aussage macht und vollkommen alleine der Polizei gegenüber steht. Die wusste genau, welche Knöpfe sie drücken muss und verdreht Richard jedes Wort im Mund. Für mich war es wirklich sehr erstaunlich, wie rasch die Polizei das Verbrechen, nachdem sie Richard die Worte in den Mund gelegt haben, als „Hate Crime“ eingestuft haben und ihn als Erwachsenen anklagten. Auch hierzu hat die Autorin sehr akribisch recherchiert und sich auch im nächsten Teil klar dazu geäußert. Ich persönlich frage mich, wie das deutsche Rechtssystem an diesen Fall herangegangen wäre. Im vierten und letzten Teil Justiz wird das Urteil und die Folgen und Konsequenzen für alle beleuchtet. Wir erfahren, wie es für alle weitergeht, wie sich die beiden Familien begegnen und was das Umfeld verändert. Mich hat das Buch nachhaltig beeindruckt. Beim Lesen habe ich schnell einen regelrechten Sog entwickelt und ich konnte es nicht mehr zur Seite legen. Durch meine Arbeit als Sozialpädagogin bin ich mit dem Thema „Gender“ sehr vertraut und trotzdem habe ich eine ganze Menge dazugelernt. Ich bin begeistert, wie die Autorin an die Geschichte herangegangen ist. Man merkt jedem Kapitel die akribische Recherche an. Mir hat es sehr gut gefallen, dass wir sowohl Sasha wie auch Richard genau kennenlernen und somit einen Einblick bekommen, wie es zu so einer Tat kommen konnte. Ich persönlich habe es auch sehr gut gefunden, dass die Autorin keine Wertung vornimmt und keinen in eine klare „Opfer“ oder „Täter“ Rolle steckt. Auch ich will an dieser Stelle keine Wertung vornehmen, aber mir gefiel es sehr, dass einfach alle Facetten, Hintergründe und Entwicklungen beleuchtet wurden. Mit dem amerikanischen Justizsystem kenne ich mich überhaupt nicht aus, aber die sehr guten Erklärungen und Anmerkungen der Autorin haben mir auch hier einen guten Überblick verschafft, sodass ich auf jeden Fall ein Gefühl für das System bekommen habe. Nach wie vor frage ich mich, wie dieser Fall wohl hier in Deutschland verhandelt worden wäre und ich hoffe, dass es anders gelaufen wäre. „Bus 57“ hat mich schwer beeindruckt und auch erschüttert. Dashka Slater hat die wahre Geschichte von Richard, Sasha und dem Bus 57 wirklich sehr akribisch und umfangreich recherchiert. Sehr einfühlsam und behutsam berichtet sie und findet dafür ehrliche und klare Worte. Alle Seiten und alle Sichten werden beleuchtet und viele Erklärungen und Anmerkungen eingefügt. Als Leser bekommt man die Chance, vollkommen unvoreingenommen die Geschichte von Bus 57 zu betrachten, sich eine eigene Meinung zu bilden und über ein hochaktuelles Thema nachzudenken. Ich kann euch dieses Buch wirklich nur ans Herz legen. Denn die Geschichte von Bus 57 muss erzählt werden.

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