Bris Buchstoff
Komplettausstieg Heidi Benneckenstein war ein „deutsches Mädel“. War nicht deshalb, weil sie verstorben wäre, nein, glücklicherweise nicht, sondern weil sie in einer rechtsradikalien Familie aufwuchs und weil sie es geschafft hat, aus dieser Paralellwelt auszusteigen. Aufgewachsen ist Benneckenstein in einem Dorf in der Nähe von München. Das ist Ende der 1990er Jahre und doch scheint in Heidis Welt die Zeit stehengeblieben zu sein. Ihre Kindheit und teilweise auch ihre Jugend sind geprägt von Drill und rechter Ideologie. Da geht es in den Ferien in ein Lager der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (eine mittlerweile verbotene Organisation, die nach ihrem Verbot andere Organisationen unterwandert hat), das dieselben „Inhalte“ vermittelt, die ich aus Erzählungen meines Vaters, der als kleiner Junge (Jahrgang 1927) in die damals sogenannte „Landverschickung“ kam, kenne. Umgang mit Waffen, Drill – eigentlich eine paramilitärische Ausbildung, die die Kinder hier als selbstverständlich erhalten und aufgrund ihres Alters und der häuslichen Umgebung nicht hinterfragen. Eine Filterblase, die die 1930er Jahre nicht verlassen hat. Benneckenstein erzählt in ihrem Buch „Ein deutsches Mädchen“ davon, wie es ist, in einer Paralellwelt, die ich in dieser Ausprägung so nicht für möglich gehalten hätte, aufzuwachsen. Sie zeigt auf, dass es gerade für junge Menschen schwer ist, sich diesem allgegenwärtigen Druck zu entziehen. Jede/r, der Kinder hat oder in irgendeiner Weise mit ihnen in Kontakt steht, weiß, dass sie ihre Umwelt spiegeln, sich anpassen, sich einbringen und „korrekt“ verhalten wollen. Kinder kooperieren gerne, wenn auch manchmal auf sehr eigenwillige Art und Weise – und genau das hatten die Nationalsozialisten erster Stunde schon erkannt und sich zunutzen gemacht. Um aus solch einer Welt auszubrechen, braucht es einen Impuls von außen. Hardy Krüger hat das sehr eindrucksvoll in seinem Memoir „Was das Leben sich erlaubt“ beschrieben. Der Impuls bei Heidi Benneckenstein kam auch durch ihren jetzigen Mann Felix Benneckenstein, der in der rechten Szene als „Flex“ kein Unbekannter war. Laut einem auch heute noch äußerst aufschlussreichen und lesenswerten Artikel in der ZEIT fanden Felix und Heidi zu Beginn ihres Ausstiegs, all das, was sie Jahre geglaubt und getan hatten, einfach lächerlich. Der sich ankündigende gemeinsame Nachwuchs veränderte die Sichtweise beider auf ihr bisheriges Leben, das strengen Regeln folgte, keine abweichende Meinung duldete und in einem sektenähnlichen Umfeld stattfand. Ihr eigenes Kind sollte nicht in einem solchen Umfeld aufwachsen und so stiegen sie aus. Mit allen Konsequenzen. Heidi brach mit ihrer Familie, sie und Felix wurden und werden es nach wie vor – eine kurze Internetrecherche zu den Namen genügt, um zu sehen, wie frei sich rechtsradikale Meinungen im öffentlichen Raum bewegen können – als „Verräter“ bezeichnet. Zunächst tauchen die beiden unter, sie brauchen ein komplett neues Leben. Doch genau das, also sich zu verstecken, ist ihnen zu wenig, deshalb gründen sie die Aussteigerhilfe. Heidi Benneckensteins Buch erzählt von ihrem Leben vor dem Ausstieg bis hin zur Entscheidung, mit diesem Leben Schluss zu machen. Ein wenig fehlt mir persönlich die Einsicht, die Selbstreflexion, ist mir der Ausstieg zunächst zu sehr von außen motiviert, doch im Grunde kann mir das auch egal sein. Alles was zählt ist: Hier schreibt eine junge Frau ihre Geschichte auf, um auf eine rechtsradikale Paralellwelt aufmerksam zu machen und klar zu stellen, wie strukturell dieses Problem tatsächlich verankert ist. Und dafür gebührt ihr mein Respekt, denn dazu gehört sehr viel Mut.