Maike Bücheler
Jari hat drei Wochen Freiheit vor sich, bevor er seinen Job als Tischlergeselle unter seinem Vater antritt. Er will sie nutzen, wandern gehen, fernab von allem und jedem, den er kennt. Doch dann begegnet er Jascha, dem schönsten Mädchen der Welt, und folgt ihr hinein in den Wald, wo nichts ist wie es scheint und die Schönheit tödlich sein kann… Ich kannte Antonia Michaelis schon von ihrem Roman "Der Märchenerzähler", den ich allerdings vor so unfassbar langer Zeit gelesen habe, dass ich mich kaum daran erinnern kann. Aber ich fand es ziemlich gut, das weiß ich noch. Jetzt habe ich endlich ein weiteres Buch der Autorin gelesen, Solange die Nachtigall singt, und muss mich selbst fragen, warum ich mir so viel Zeit gelassen habe. Antonia Michaelis hat definitiv einen ganz eigenen, besonderen Schreibstil. Märchenhaft, unheimlich. Ich weiß gar nicht genau, wie ich ihn beschreiben soll. Man muss sich auf jeden Fall darauf einlassen, doch dann nimmt er einen komplett mit in diese andere Welt zwischen den Seiten. Am Anfang hatte ich noch oft das Gefühl, sie würde bestimmte Sätze und Bilder ein wenig zu oft wiederholen, doch schon nach einer kurzen Weile hat diese Tatsache mich wie eine Spirale tiefer in den Text gezogen, hat dafür gesorgt, dass ich mich genau wie Jari in dem Wald verlaufe, in dem manchmal alles gleich auszusehen scheint. Auch mit Jari selbst musste ich erst einmal warm werden. Es war sehr interessant für mich, mehr über seinen Hintergrund, seine Familie und Freunde zu erfahren, weil sein Umgang mit ihnen so anders ist als das, was ich täglich (er)lebe. Als er dann jedoch Jascha in den Wald folgt, hätte ich ihn am liebsten angeschrien. Für viel zu lange hielt ich ihn für naiv und habe darauf gewartet, dass er endlich die Augen aufmacht, aufwacht aus der Illusion. Dann bin ich genau dieser Illusion selbst erlegen. Meine Neugier war geweckt, ich wollte mit ihm den Wald erkunden, sein Geheimnis enthüllen. Gleichzeitig war da aber diese bedrückende Stimmung, der Hintergedanke, dass es gefährlich sein könnte. Und die undurchdringlichen Nebel sind mir aus dem Wald in mein Zimmer zurück gefolgt, wenn ich das Buch zur Seite gelegt habe. Die meiste Zeit habe ich mich für klüger gehalten als die Figuren im Buch, glaubte, wie so oft das Ende und die Auflösung voraussehen zu können. Doch je mehr man glaubt, das Buch zu durchschauen, umso mehr führt es einen in die Irre. Das ist das Faszinierende an diesem Buch. Die Schönheit spielt nicht nur mit Jaris Wahrnehmung, sondern auch mit der des Lesers. Und genau deshalb hat Solange die Nachtigall singt mich auch nach dem noch Lesen beschäftigt. Denn es hat mir die Frage gestellt: Kann ich meinen eigenen Augen wirklich trauen? Und was, wenn nicht? Dieses Buch war sicher nicht was ich erwartet hatte. Es hat ein wenig gebraucht, bis ich mich ganz darauf einlassen konnte, doch als es so weit war, hat der Nebelwald mich voll und ganz verschluckt. Und dank Antonia Michaelis‘ Schreibstil hat sich das bei diesem Buch besonders magisch angefühlt.