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Maike Bücheler

Posted on 15.2.2020

In einer Welt, in der die Bibliothek von Alexandria nie abgebrannt ist, kontrolliert sie heute das Wissen auf der ganzen Welt – oder versucht es zumindest. Schmuggler, wie Jess Brightwells Vater, verkaufen Bücher auf dem Schwarzmarkt. Als Jess die Möglichkeit erhält, am Hauptsitz der Bibliothek in die Lehre zu gehen, soll er die Gelegenheit zum Spionieren nutzen. Doch wie sich herausstellen soll, ist er nicht der Einzige in seiner Klasse, der Geheimnisse hat… Rachel Caine ist in Deutschland wohl vor allem für ihre Reihe um das Haus der Vampire bekannt – eine Buchreihe, um die ich immer einen großen Bogen gemacht habe (wenn ich auch nicht genau weiß, warum). Deswegen habe ich ihren Namen natürlich auch nicht erkannt, als ich Ink and Bone, den ersten Band ihrer Reihe zur Bibliothek von Alexandria, als Wichtelgeschenk erhalten habe. Ich hatte keinerlei Erwartungen, außer denen, die meine Secret Santa mit ihrer Empfehlung geweckt hatte, und oh boy, wie Recht sie hatte. Das Buch braucht ein bisschen Zeit bevor es so richtig in Fahrt kommt, denn die fast schon steampunkige Welt, die Rachel Caine geschaffen hat, braucht etwas Zeit, um sich ganz zu entfalten. Zunächst sehen wir London, aus der Sicht des Schmugglerkindes, das Jess ist, dann dürfen wir mit ihm gemeinsam auf die Reise bis nach Alexandria gehen. Mehr über ihn erfahren, über die Welt in der er lebt, über das, was die Bibliothek vorgibt zu sein und das, was sie wirklich ist. Wie ein Puzzle fügen sich die Teile nach und nach zusammen. Dabei helfen auch die kurzen Einblicke unter der Überschrift „Ephemera“, die vor jedem Kapitel stehen. Der Leser darf durch sie Briefwechsel verfolgen, die den Figuren unbekannt sind und ich habe schon lange kein Foreshadowing mehr gesehen, das so gut gemacht war. Das Buch regt einen auch an nachzudenken. Darüber, wie wichtig Meinungsfreiheit ist. Was für ein Luxus es ist, in einer Welt und einem Land zu leben, in dem wir jederzeit Zugang zu Wissen haben. Das Beängstigende ist jedoch vor allem, dass man das alles weiß. Und trotzdem erscheinen einem die Argumente der Bibliothek als logisch, als sinnvoll. Denn führen wir diese Diskussion nicht auch momentan? Muss man wirklich jeder „Meinung“ eine Bühne geben? Eine Frage, die ich ganz ehrlich nicht beantworten kann – und das Buch versucht es auch nicht. Für Buchliebhaber ist diese Reihe ein Leckerbissen. Jess liebt Bücher, verehrt sie, und ich habe mich selten so gut verstanden gefühlt. Das magische Gefühl von Seiten zwischen meinen Fingern, von Bildern in meinem Kopf – Rachel Caine hat es eingefangen. Genau wie den Schmerz, wenn man Bücher zerstört sieht. Ob das jetzt der Gedanke an den Brand ist, der in unserer Realität die Bibliothek von Alexandria zerstört hat oder das sehr viel modernere Bild brennender Bücher auf Instagram (die historischen Hintergründe, aus denen das absolut geschmacklos ist, sogar mal außen vorgelassen). Jess versteht das alles. Überhaupt war Jess eine wunderbare Hauptfigur, deren Entwicklung vom naiven Jungen zum jungen Mann, der Leid, Schmerz und Tod gesehen hat, ich sehr sehr gerne verrfolgt habe. Aber auch alle anderen Figuren sind mir unfassbar ans Herz gewachsen, was auch daran liegt, wie einzigartig sie alle schienen. So anders, und doch ergaben sie ein großartiges Team, in dem sie sich wunderbar ergänzen konnten. Besonders gefielen mir Wolfe und Santi, die beiden Lehrer, hinter denen so viel mehr steckt. Der „Bad Boy“ Dario, der wohl nie lernen wird, seine weiche Seite zu zeigen. Die kluge Khalila, die immer sie selbst bleibt. Der bodenständige Thomas, der zwar besonders am Anfang sehr mithilfe von stereotyp-deutschen Eigenschaften charakterisiert wird, den man aber einfach lieb gewinnen muss. Morgan, die so voller Geheimnisse steckt. Hach, ich könnte eigentlich die ganze Klasse aufzählen. Sie sind einfach richtig cool. Was mir an dem Cast so gut gefallen hat, war auch, wie divers er war. Durch die Tatsache, dass die Bibliothek Lehrlinge von der ganzen Welt einlädt, konnte Rachel Caine unterschiedliche Hautfarben, Kulturen und Religionen mühelos und schlicht in ihre Geschichte einbinden. Das hat das ganze noch spannender gemacht und noch mehr dazu geführt, dass ich wirklich das Gefühl hatte, mich nicht in einer erfundenen Welt, sondern lediglich auf einer anderen Zeitlinie zu befinden. Mit jeder Seite, mit der man die Figuren enger ins Herz schließt, wird man noch mehr in die Geschichte hineingezogen. Und während ich auf den ersten fünfzig Seiten zugegebenermaßen Schwierigkeiten hatte mich (auch in der Sprache, denn das hier ist kein Jugendbuch – zumindest nicht für mich – wenn die Figuren auch jung sein mögen. Damit hatte ich nicht gerechnet) einzufinden, wollte ich das Buch später nicht mehr aus der Hand legen. Ich musste wissen, wie es ausgeht. Was nun eigentlich die Verschwörung wirklich ist. Wer den Krieg überlebt und wer nicht. Welche Liebe stark genug sein wird. Kurzum: Ich habe mich in diese Reihe verliebt. Sie sieht nicht nur wirklich wunderschön aus, sondern ist auch wirklich gut. Rachel Caine schafft es, den perfekten Mittelweg zwischen erfrischender Direktheit und traumhafter Poetik zu finden. Zwischen Fantasy und realen Problematiken. Zwischen ruhigen Phasen und Spannungshöhepunkten. Und der Cliffhanger am Ende sorgt dafür, dass ich den zweiten Band so schnell wie möglich auch lesen möchte. Denn es ist vor allem das Schicksal Figuren, das mich so in den Bann gezogen hat.

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