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SternchenBlau

Posted on 15.2.2020

Eine Überlebende, die antwortet. Die Holocaust-Überlebende Hédi Fried ist versöhnlich im Ton, aber unversöhnlich in der Haltung: Nie wieder! Sie hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, von ihren Erinnerungen zu erzählen. Die Fragen, die ihr Kinder und Jugendliche bei ihren Vorträgen gestellt haben, hat sie in diesem Buch zusammengefasst. Vielleicht könnte man glauben, dass man so viel über die Shoah gelesen hat, dass es für ein Leben reicht. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass es gerade von Überlebenden nicht genügend Texte und Erinnerungen geben kann. Schon als Kind und Jugendliche habe ich viel über den Holocaust gelesen, weil ich gespürt habe, es geht nicht um individuelle Schuld, sondern um die Verantwortung, dass dies nie wieder geschieht. Kurz nach dem 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, sind rechtsnationale Kräfte in ganz Europa viel stärker, als ich es je für möglich gehalten haben. Wir alle müssen die Erinnerung wachhalten. Frieds Antworten sind zwar einfach gehalten, was auch zu ihrer Hauptzielgruppe passt, doch genauso zeugen sie von großer Weisheit und Kraft. Bei der Frage „Was war das Schlimmste, das sie erlebt haben?“ spannt sie den Bogen vom Verlust der Eltern hin zu den vielen kleinen „Sandkörnern“, die zusammen zu diesem unbegreiflichem Grauen geführt haben.  „Eine der Lehren aus dem Holocaust lautet: Gewöhne dich nie an Ungerechtigkeiten. Eine Ungerechtigkeit ist wie ein Sandkorn in der Hand, man spürt ihr Gewicht nicht. Doch Ungerechtigkeiten neigen dazu, sich zu vermehren, es werden mehr und mehr, und bald werden sie so schwer, dass du sie nicht länger tragen kannst. Und nach einiger Zeit wird trotzdem die nächste Ungerechtigkeit kommen.“ Manche Fragen, die Fried von Kindern und Jugendlichen beantwortet, sind schlicht bis unverblümt. Bezeichnend für Frieds Größe ist, wie sie auf die Frage reagiert, was das Beste gewesen wäre, das ihr in dieser Zeit passiert wäre. Sie findet selbst im Grauen die Menschlichkeit und nimmt so auch die Fragenden ernst. Fried vermittelt ihre Erinnerungen sehr klar und direkt. Ihr Zugang ist nicht in erster Linie analytisch (die eindrucksvollste Literatur ist in dieser Hinsicht für mich Primo Levis „Die Untergegangenen und die Geretteten“), sondern emotional. Hédi Fried schildert benennt sogar eigene Vorurteile und wie sie diese durchbrochen hat. Und Fried hat in ihrem Leben wohl auch jedes Scheinargument der Leugner und Relativierer:innen gehört. Sie bleibt dort pragmatisch: „Wer mir nicht glaubt, den kann ich nicht überzeugen. Wenn solche Leute argumentieren, dass niemand die Gaskammern von innen gesehen habe, kann ich nur zustimmen. Es ist wahr, keiner von uns hat die Gaskammern von innen gesehen, weil niemand, der darin war, lebend herausgekommen ist.“ Das Buch ist ein Vermächtnis, führt die Fragen in eine Form, wenn die Überlebenden nicht mehr als lebende Zeitzeugen selbst die Antworten geben könnten. Auch für mich habe ich neue Ansätze gefunden, wie wir als Eltern diese Fragen unserem Kind beantworten können. Die allergrößte Stärke dieses Buches ist zusätzlich, dass Fried klar den Rassismus und die Vergehen von Heute benennt: „Wenn ich die erschütternden Bilder mit schwankenden, überfüllten Booten im Mittelmeer sehe, dann sehe ich mich selbst dort sitzen. Ich hätte mich auch, der geringen Überlebenschance zum Trotz, in so ein Boot gesetzt. Diese Menschen wissen, dass sie nirgends willkommen sind, genau wie wir 1938 wussten, dass Juden nirgends willkommen waren.“ Wir dürfen uns also nicht einreden lassen, dass auf dem Mittelmeer nicht ebenso jegliche Menschlichkeit gebrochen würde. Fried sagt es uns deutlich, und sie weiß es, denn sie war in Auschwitz. Das Buch hat gegen Ende hin vielleicht eine gewisse Redundanz. Das liegt aber in der Natur der Sachen, denn „inhaltlich“ sind die Fakten bekannt. Doch das Grauen liegt in jeder kleinen Erinnerung verborgen und so gab es auch hier immer wieder Details, die ich „genau so“ eben dann doch noch nicht gehört, gelesen oder gesehen habe. Für das „Nie wieder!“ dürfen wir sie nicht vergessen, immer wieder erzählen. Wir brauchen solche Aussagen, immer und immer wieder: „Reaktionen auf Ungerechtigkeiten müssen erfolgen, wenn alles gerade anfängt. Sie hätten in Deutschland Anfang der Dreißigerjahre erfolgen müssen. Nur wenige Jahre danach war es schon zu spät.“

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