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bella5

Posted on 13.2.2020

Auf Laura bin durch Twitter aufmerksam geworden. Als ich dann das Buch in der Buchhandlung erblickte, musste ich es unbedingt haben, denn der Buchtitel ist einfach catchy und klasse: „Kann man da noch was machen“? Lauras Leben ist eigentlich ganz normal – sie trifft sich gern mit Freunden, arbeitet als Werbetexterin in Berlin, sammelt und liebt Sneaker. Die Tatsache, dass sie im Rollstuhl sitzt, empfindet sie eher als Erleichterung denn als Einschränkung, denn: Behindert ist man nicht, behindert wird man – von der Gesellschaft. Laura erzählt von der alltäglichen Diskriminierung. Strukturell, gesellschaftlich. Ist Inklusion nur ein Lippenbekenntnis in Deutschland? Oft scheitert die gesellschaftliche Teilhabe von Behinderten schon an der Infrastruktur, an einer Rampe, an einer Dolmetscherin für Gehörlose. Soll der gesunden Mehrheitsgesellschaft nicht zu viel zugemutet werden? Lauras Buch liest sich klasse, der Ton ist modern und authentisch. Sie berichtet von eigenen Stärken und Schwächen. Sehr berührt war ich, als sie von Ängsten und Gewaltandrohung berichtete. Die Angst, das eigene Potential nie ganz ausschöpfen zu können. Schreibblockaden, die Angst vor dem leeren Blatt. Die Hänseleien in der Schule, die Lehrerin, die besonders fies war, um Laura „abzuhärten für das Leben“. Was für eine Anmaßung! Im Studium dann missgünstige Kommilitonen, die Laura Maßnahmen zur Herstellung der Chancengleichheit (!) neideten, etwa einen Zeitbonus, der motorische Einschränkungen bei Klausuren ausgleichen sollte. Aber auch Leute, die Laura ganz normal behandelten, wie etwa ihre Mitbewohnerin in den Niederlanden finden Erwähnung. Laura jammert nicht. Laura redet Tacheles. Spricht Dinge aus, die einfach auch einmal gesagt gehören. Wenn Leute sie fragen, ob ihr „Freund auch behindert“ sei, ist dies unverschämt. Wenn Leute ihr zu zischen, dass „Jemand wie sie unter Hitler noch vergast wurde“, ist das grausam. Laura muss täglich zusätzliche Kraft für Dinge aufwenden, die nicht nötig wäre, wenn die gesellschaftlichen Strukturen anders wären. Aber schließlich lebt laut Laura auch eine ganze Industrie von Behinderten…  Schon seltsam, dass in einer Industrienation wie Deutschland noch soviel Handlungsbedarf besteht. Finde ich. Eigentlich ein Armutszeugnis, viele Dinge scheinen mir etwa in Großbritannien besser organisiert zu sein. Es gibt in Gehlhaars Buch aber auch Aussparungen, Dinge, über die ich gerne mehr erfahren hätte, die die Autorin aber wohl privat halten will: Welche Krankheit hat Laura genau? Wie gestaltete sich ihr Studium, denn es wird kurz abgehandelt? Wieso arbeitet sie nicht als Sozialpädagogin, denn darin hat sie ihren Abschluss gemacht, sondern als Texterin? Man erfährt aber, dass sich Laura bei den „Sozialhelden“ engagiert. Trotz meiner Kritikpunkte ist „Kann man da noch was machen“? ein lesenswertes Sachbuch!

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