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ankasgeblubber

Posted on 13.2.2020

Spannende Auflösung - doch der Weg dorthin war beschwerlich Lang habe ich an diesem 380 Seiten starken Buch gelesen - gefühlt so lang, wie ich mich darauf gefreut habe. Ursula Poznanski und Arno Strobel stehen für Thriller-Qualität und kurzweilige, spannende Unterhaltungsliteratur mit Bestsellerstempel. Im vergangenen Jahr haben sich die zwei erfahrenen Autoren erstmalig zusammengetan, um ein gemeinsames Buch zu schreiben. In "Fremd" haben sie bewiesen, wie gut solch eine Zusammenarbeit funktionieren kann. Der Fokus lag klar auf den zwei Perspektiven, auf den zwei Protagonisten, die ihre Geschichte erzählen. Wem kann der Leser trauen? Wer erzählt die Wahrheit und wer spielt ein falsches Spiel? Dieses Psycho-Spielchen hat mir besonders gut gefallen und auch vom Rest des Thrillers war ich angetan. In "anonym" haben wir es erneut mit zwei sich abwechselnden Perspektiven zu tun. Ich war sehr gespannt auf den Schlagabtausch der zwei Kommissare Daniel Buchholz und Nina Salomon. Tatsächlich musste ich darauf gar nicht lang warten, denn bereits das erste Aufeinandertreffen der Protagonisten enthält eine gute Portion Zündstoff. Nina Salomon kommt neu ins Team von Daniel Buchholz und wird direkt mit einem Fall konfrontiert, der sie an ihre Grenzen bringt. Ein Toter führt die Ermittler ins Darknet, den anonymen, undurchsichtigen und kriminellen Teil des Internets. In einem dubiosen Forum können die User eine Person ihrer Wahl nominieren. Aus den eingereichten Vorschlägen stellt der Administrator eine Top-5-Liste auf, über die die User schließlich abstimmen können. Die Person mit den meisten Stimmen "gewinnt". Bei diesem Gewinn handelt es sich jedoch nicht um einen Batzen Geld, eine Kreuzfahrt, eine Waschmaschine oder ein Zeitungsabo. Nein, der erste "Gewinner" dieses Votings ist gleichzeitig das erste Mordopfer, denn alle Nominierten haben, laut der abstimmenden User, den Tod verdient. Eigentlich ein spannender und interessanter Fall. Er passt absolut ins aktuelle Zeitgeschehen und trifft dessen Nerv. Mir gefällt, dass die Autoren nicht nur einen Täter präsentieren, sondern die Gesellschaft zum Mittäter machen. Sie wird zum Richter, liefert die Opfer und entscheidet über deren qualvollen Tod, während der perverse Forum-Betreiber lediglich als Henker, als ausführende Kraft fungiert. Eine brillante Idee, an deren Umsetzung ich jedoch ziemlich zu knabbern hatte. Das größte Problem hatte ich mit den Protagonisten. Daniel Buchholz und Nina Salomon haben mich beide in den Wahnsinn getrieben. Zwei arrogante Sturköpfe, zwei Alphatiere, zwei Egoisten, die mit voller Wucht aufeinanderprallen. Auch wenn sich die sehr geladene Stimmung im Laufe der Geschichte etwas entlädt, wurde ich weder mit der Einen noch mit dem Anderen warm. An und für sich finde ich es klasse, wenn Protagonisten nicht so aalglatt daherkommen. Ich mag Ecken und Kanten ebenso wie spannende Charakterentwicklungen. Trotzdem bevorzuge ich es, wenn mir zumindest eine Hauptperson sympathisch ist und ich ein Stück weit mit ihr mitfühlen kann. Dies ist mir weder mit Nina Salomon noch mit Daniel Buchholz gelungen. Aber auch was die Nebenfiguren angeht, suchte ich vergeblich nach Lichtblicken. So kam es also, dass ich mich in diesem Buch so überhaupt nicht "wohlfühlen" konnte, einzig und allein das Thema ließ mich am Ball bleiben. Weniger interessant war für mich der Täter, viel spannender fand ich die Reaktionen und das Verhalten der Gesellschaft, denn diese wurden erschreckend authentisch dargestellt. Genau so könnte sich solch ein Drama in der heutigen Zeit der Anonymität abspielen. Technisch gesehen war dieser Thriller wieder tadellos. Der Schreibstil ist angenehm zu lesen und der Spannungsbogen war klasse aufgebaut, sodass auch dieses Buch wieder mit Kurzweiligkeit punkten konnte. Selbst die Überraschung am Schluss blieb nicht aus und konnte mich sogar wieder ein bisschen milder stimmen. Trotzdem stellt sich mir nun die Frage, ob es vielleicht an meinen hohen Erwartungen lag, die es mir sehr schwer gemacht haben, mich mit diesem Buch anzufreunden. Auch wenn der Thriller gut geschrieben ist, fehlt mir der besondere Strobnanski-Touch. Es könnte auch ein ganz anderer und vor allem einzelner Name auf dem Cover stehen. Ihr merkt schon, MEIN Buch war es in diesem Fall nicht komplett. Natürlich spielt der persönliche Geschmack in der Bewertung eines Buches immer eine Rolle. Da kann es rein schriftstellerisch noch so gut oder von meinen Lieblingsautoren geschrieben sein - wenn es mich weder erreicht noch wirklich mitfiebern lässt, dann kann ich es nicht uneingeschränkt empfehlen. Trotzdem möchte ich nochmals auf die positiven Aspekte hinweisen. "anonym" ist aktuell und erschreckend realitätsnah, gepaart mit einer gesunden Portion Gesellschaftskritik und einem spannenden Plot. Die positiven Rezensionen sind für mich absolut nachvollziehbar, auch wenn ich mich ihnen diesmal nicht zur Gänze anschließen kann.

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