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Schattenwege

Posted on 13.2.2020

Wir nennen es das Sonnentor – das dunkle Loch mitten im Felsen, in das Paps uns wirft, wenn wir nicht artig waren. (Seite 7) Wenn man sich nur Cover und Klappentext anschaut, dann ahnt man zwar schon, dass So dunkel der Wald kein klassischer Thriller und ganz sicher kein einfaches Buch ist. Was den Leser jedoch tatsächlich zwischen den Seiten erwartet, ließe sich in keinen Klappentext der Welt fassen. Aus der Sicht der inzwischen zwanzigjährigen Ronja erzählt Michaela Kastel die Geschichte einer jungen Frau, die mitten in ihrer Kindheit aus dem gewohnten Umfeld gerissen wurde und ein ganz anderes Leben kennenlernte, als ein zehnjähriges Mädchen leben sollte. Obwohl dabei keine expliziten Beschreibungen verwendet werden, sondern die Autorin alles nur hauchzart andeutet, entstehen im Kopf des Lesers gewaltige Bilder, die auch nach dem Lesen noch lange nachhallen. Der dabei genutzte Sprachstil wirkt im ersten Moment sehr nüchtern und irgendwie abgeklärt, doch zwischen den Zeilen verbirgt sich genau das, was diesen Thriller zu dem macht, was er ist: ein ganz besonderes Leseereignis. Trotz all der Nüchternheit schafft Michaela Kastel es, ihrer Protagonistin so viel realistisches Leben einzuflößen, dass der Leser teilweise das Gefühl hat, direkt neben Ronja zu sitzen und ihr beim Erzählen der Geschichte zuzuhören. Es kann sogar vorkommen, dass das Buch zugeklappt wird und man sich mental Ronja zuwendet, um ihr eine Frage zu stellen. Ihre Seelen liegen in Scherben, und nur in der Einsamkeit finden sie Zeit, zu heilen. (Seite 36) Denn genau das löst So dunkel der Wald mit nahezu jedem Wort im Leser aus: Fragen. Oder vielmehr den Drang, die dargestellten Dinge zu hinterfragen. Im Hinterkopf immer leise flüsternd das Stichwort „Stockholm-Syndrom“, irgendwie passt es nicht so ganz, aber irgendwie dann wieder doch. Besonders die Szenen, nachdem sich die Ursprungssituation geändert hat, zeichnen ein nachvollziehbares Bild von dem Zwiespalt, in dem sich Ronja, Jannik und weitere Beteiligte befinden. Und dass es nicht so einfach ist, aus einem gewohnten Kreislauf auszubrechen, auch wenn man diesen Kreislauf hasst und seit jeher an nichts anderes als Flucht denkt. Dieser Zwiespalt ist es auch, den der Leser in sich selbst spürt, wenn er versucht, eine Lösung für die vorherrschende Situation zu finden, und dabei durchaus eine ganze Palette verschiedener Emotionen durchläuft – ähnlich wie auch die Charaktere im Wald. Dunkelheit bricht keine Menschen, sie verändert sie nur. Sie macht sie … dunkler. (Seite 223) Unterbrochen wird Ronjas Geschichte durch Tagebucheinträge, deren Herkunft jedoch erst recht spät tatsächlich bekannt wird. Natürlich werden verschiedene Vermutungen angestellt, und mit den ersten Auszügen sorgt Michaela Kastel eventuell für einige Verwirrung. Auch die Einschübe der ermittelnden Polizei wirken zu Beginn fehlplatziert und scheinen die Geschichte eher auseinanderzureißen, doch erst im weiteren Verlauf ergibt das Gesamtbild einen Sinn. So dunkel der Wald ist wie ein Puzzlespiel mit nahezu identischen Teilen, die sich nur in einem oder zwei winzigen Details unterscheiden. Es fällt schwer, die Lektüre zu unterbrechen, obwohl es durchaus einige Längen gibt, die jedoch nicht genug ins Gewicht fallen, um den beinahe durchgehend hohen Spannungsbogen zu relativieren. Als Leser leidet man mit – bei jedem Atemzug, bei jeder erwähnten, wenn auch nicht explizit beschriebenen Bestrafung, bei jedem Gedankengang, bei jeder Entscheidung. Ein insgesamt eher ruhiger Thriller, der aber gerade durch die ruhigen Töne und die zwischen den Zeilen versteckten Botschaften fest- und unterhält, nachdenklich macht und gesellschaftliche Zwiespälte offenbart. Fazit: Recht nüchtern erzählt und doch erstaunlich atmosphärisch und ergreifend – mit So dunkel der Wald hält der Leser ein ganz besonderes Buch in den Händen, das nicht leicht zu lesen und noch schwieriger zur Seite zu legen ist. Und falls dies doch mal gelingt, hallt der Inhalt lange im Kopf nach. Michaela Kastel beweist mit ihrem Herzensbuch, wie sie es selbst nennt, dass es für einen richtigen Gänsehauteffekt manchmal gar nicht viele Beschreibungen braucht, sondern es ausreicht, die Bilder im Kopf des Lesers zu aktivieren. Trotz einiger Längen eine ganz klare Leseempfehlung! Wertung: 4.5 / 5 Handlung: 4 / 5 Charaktere: 5 / 5 Lesespaß: 4.5 / 5 Preis/Leistung: 4.5 / 5

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