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seeker7

Posted on 12.2.2020

Paul Auster ist einer der großen amerikanischen Gegenwarts-Schriftsteller; er repräsentiert sozusagen die „offizielle“ literarische Welt; seine Bücher werden international von allen Kultur-Redaktionen beachtet. Sein aktueller Roman heißt +4 3 2 1. In diesem Roman aus den 90-iger Jahren berichtet der Ich-Erzähler (Peter), selbst ein Schriftsteller, von der radikalen Wendung im Leben seines besten Freundes (Ben), der natürlich auch aus der Literaten-Welt kommt. Anlass für diesen Bericht ist der Umstand, dass dieser Ben durch eine – offenbar selbst gebaute – Bombe ums Leben gekommen ist. Er gerät in den Verdacht, Urheber einer ganzen Reihe von Anschlägen gewesen zu sein. Der Erzähler sieht es als seine Freundschaftspflicht an, die wahre Geschichte über den verhängnisvollen Weg zu übermitteln, der Ben aus einer gesicherten Position in der Mitte der (intellektuellen) New Yorker Gesellschaft in die einsame Rolle eines gejagten Outlaws geführt hat. Auster lässt seinen Erzähler ein ganzes Netzwerk von – größtenteils gemeinsamen – Freunden und Bekannten aufspannen; auch von parallel geliebten Frauen ist die Rede. Peters detektivische Aufklärungsarbeit ist aus einer sehr persönlichen Perspektive geschrieben. Die Gesamtgeschichte setzt er nach und nach aus einzelnen Teilperspektiven der wichtigsten Protagonisten zusammen, mit denen er über die letzten Jahre seines Freundes spricht. Auch Ben selbst - der zwischendurch immer mal wieder für längere Zeit abtaucht - trägt an verschiedenen Stellen zu der Vervollständigung des Puzzles teil. Letztlich schafft es Peter, das ziemlich komplexe Psychogramm von Ben fertigzustellen, bevor das FBI die Sache selbst aufklärt. (Das hört sich vielleicht an wie Spoilen; spielt aber für den Spannungsbogen des Romans keine entscheidende Rolle). Für mich ist Leviathan ein typisches Beispiel für ein Buch, in dem das Erzählen selbst der eigentliche Zweck ist. Es geht um die Kunst des Erzählens - weder um die Handlung noch um eine besondere Botschaft. Es geht um das Entfalten einer eigenen kleinen Welt auf 330 Taschenbuch-Seiten. Man lebt ein paar Stunden mit diesen Charakteren (insbesondere eben Peter und Ben) und gerät auch ein bisschen in einen Sog der Neugier und manchmal auch in eine Fassungslosigkeit gegenüber den Wirrungen des Schicksals. Jetzt könnte man sagen: Das schafft doch jedes halbwegs gutes Buch; dafür braucht man doch kein hochgelobter Star-Schriftsteller zu sein. Für mich war besonders, dass die Spannung bzw. die emotionale Dynamik nicht auf den üblichen Effekten (Gewalt, Action und Sex) oder einem raffiniert gewebten Spannungsbogen beruht, sondern sich aus eher leisen, psychologischen und beziehungsmäßigen Prozessen entwickeln. Viele Passagen sind nicht spektakulär, enthalten eher feine, atmosphärische Beobachtungen aus alltäglichen Interaktionen. Auch bei diesem Auster-Roman muss man wohl eine gewisse Affinität zur Künstler- und Literatur-Szene des progressiven Ostküsten-Amerikas mitbringen. Ohne diesen Bezug könnte beim Leser vielleicht schnell eine gewisse Sättigung bzw. Abwehr entstehen („Was habe ich mit diesen Leuten zu tun?“). Nicht jeder mag diese Art von Literatur. Sie ist auch ein wenig sperrig; man muss ich einlassen wollen. Für mich war auch dieser Auster ein Lesevergnügen auf hohem Niveau, wobei die Sprache selbst keine besonderen Anforderungen stellt. Die Kunst entsteht eher durch die besondere Komposition des Erzählens.

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