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daslesendesatzzeichen

Posted on 12.2.2020

Dieses Buch hat Wumms! Klasse und sehr passend, das Cover mit Daniel Schmidt in Macho-Pose. Reduziert der Titel, plakativ der Stil – die richtige Aufmachung für das, was einen dann innen erwartet. Daniel Schmidt ist der Autor dieses Buchs (zusammen mit den Journalisten Olaf Köhne und Peter Käfferlein) und gleichzeitig seine Hauptfigur, die uns durch den ganzen Text begleitet. Schmidt ist der derzeitige Pächter des „Elbschlosskellers“, eine der Institutionen in Hamburg, in einer Seitenstraße der Reeperbahn gelegen, die noch nicht der Gentrifizierung zum Opfer gefallen sind. Aber bitte nicht falsch verstehen: Wir sprechen hier nicht von falscher Kiezromantik, wo die ach so glücklichen Nutten mit ihren Luden noch auf ein Absackerchen hingehen nach vollbrachtem Tages(besser Nacht-)werk oder wo die Dorfjugend am Wochenende zum Saufen hingeht, um sich und der Umwelt mal so richtig zu zeigen, was für tolle Hechte sie sind. Nein, nein, falsch gedacht. Der Elbschlosskeller ist ein bisschen eine kneipegewordene Endstation Sehnsucht. Wer hier versumpft, befindet sich gerade nicht wirklich auf der Sonnenseite des Lebens und braucht einen solchen Rückzugsort. Prinzipiell ist die Kneipe offen für jedermann, laut Daniel Schmidt findet sich hier am Tresen sogar die ganze Palette der Gesellschaft: vom gutbezahlten Juristen bis hin zum abgefuckten Drogendealer. Das klingt charmant, das sagt sich cool und vielleicht verirren sich wirklich immer wieder auch Mitglieder der Oberen Zehntausend in diese „Katakomben“, aber der Hauptteil der Kundschaft, deren Weg hierhineinführt, wird wohl doch eher bedürftig sein und hatte es schon mal besser im Leben. Vor 2 Wochen war ich im Mojo-Club – und weil ich nun eben dieses Buch las, wollte ich unbedingt wenigstens mal an der Kneipe vorbeilaufen, sie einmal „in echt“ sehen. Ein großer Container mit Bauschutt stand vor dem Haus auf der Straße, die Menschenmasse rollten vor der Kneipe vorbei, es war Samstagabend, wenige schienen Notiz vom Elbschlosskeller zu nehmen. Einige Kneipenbesucher standen draußen, tranken etwas, redeten, mehrere Kerle, die wie Türsteher aussahen, standen ebenfalls herum, patroullierten vor der Tür auf und ab. Nicht abweisend, aber klarmachend: Wir sorgen für Ruhe, sollte hier jemand Ärger suchen! Ich hätte mich NIEMALS hineingetraut, ich wäre mir wie ein Eindringling oder Voyeur vorgekommen, nicht dazugehörig jedenfalls, wie einer, der beobachtet und nachher anderen Interessierten davon berichtet. Nein. Das war für mich vom Gefühl her ausgeschlossen, denn was Daniel Schmidt in seinem äußerst lesenwerten Buch beschreibt, duldet keine Zaungäste. Schmidt schreibt völlig schonungslos und ohne Scham von seinem Leben, seinen Erfahrungen (nicht nur in der Kneipe) und seinen Begegnungen – vielleicht macht er das auch bewusst krass, um zu provozieren und zu polarisieren, denn das Understatement ist sein Ding nicht. Seine Eltern waren bereits Pächter des Elbschlosskellers, als er geboren wurde. Das heißt, er wuchs als Kneipenkind auf. Das erste Mal so richtig rein in den „Vorhof der Hölle“ (wie Heinz Strunk die Kneipe liebevoll nennt) durfte er mit 14. Ihm imponierte von Anfang an sein Vater, der der beste Wirt aller Zeiten war, und schnell wächst in ihm der Wunsch heran, das ebenfalls irgendwann zu machen. Lustigerweise wuchs Schmidt fernab des Kiezes auf in einem sehr bürgerlich-langweiligen Vorort namens Sasel, das Nachbarviertel neben uns 😉 Schwer vorstellbar, dass er dort mit seinen Reeperbahn-Eltern Fuß fassen konnte – wundervoll die Vorstellung, wie sein Vater mit einem megateuren Zuhälterwagen dort vors Hause fuhr und das konservative Sasel aufgemischt haben muss, allein durch die Provokation seiner Person. Doch das vermeintliche Idyll kippt, seine Eltern trennen sich, er bleibt bei der Mutter, emotional hinterlässt das alles Spuren. Seine Schwester wird durch einen heftigen Krach der Eltern schwer traumatisiert und als sie sich als junge Frau umbringt, sieht Schmidt auch in dieser einen Kindheitssituation eine erste Keimzelle für den traurigen Lebensweg seiner Schwester. Auch er selbst leidet unter den Familienumständen, seine Mutter erkrankt psychisch, allem ist die Leichtigkeit genommen. Doch er hat Glück: Es gibt eine Oma, die ihn immer wieder auffängt, ihm hilft, ihn heilt, wenn er krank wird. Er selbst hat zwar auch eine labile Ader, aber auch eine immense innere Stärke. Als Jugendlicher findet er nicht immer den Zugang dazu, aber je mehr er herausfindet, wer er eigentlich ist und wie sein Weg sein könnte, desto mehr findet er auch Wege, seine innere Kraft anzuzapfen. Er ist ein lieber Kerl, das steht sehr schnell fest, ein „Guter“ im wirklich ernst gemeinten Sinne – und schaut man sich sein Autorenportrait am Ende des Buches an, hat man den (wieder mal) krassen Gegensatz zu dem prollig-männlichen Gehabe von der ersten Seite: da schaut er so treu und lieb, wie mein Hund, wenn er das GANZ GROSSE Leckerli will 😉 Ein spannender Mann also, der facettenreich ist und trotz all der krassen (wirklich, ein anderes Wort kann man nicht dafür finden) Dinge, die er in seinem noch recht jungen Alter (1984 geboren) bereits erlebt hat, extrem authentisch und liebenswert rüberkommt. Ein Beispiel gefällig? Er probierte auch die Zuhälterei mal aus, denn Luden gehen ein und aus im Elbschlosskeller und, wenn man gut ist, ist es ein einträgliches Geschäft. War aber dann schlussendlich doch nicht das Richtige für ihn. Schmidt hatte zu der Zeit eine Freundin, die sich anbot, das zu machen, denn sie hatte Bock auf Extremes und auf Extrakohle. Schmidt betrieb gerade nebenher noch ein Fitnessstudio, in dessen Keller die beiden ein kleines „Freudenzimmerchen“ einrichteten: Während meine Freundin unten einen Freier bediente, putzte ich oben das Studio und räumte die Gewichte weg. Eines Tages stand ich ganz dicht an einem Wasserrohr, das auch in den Keller führte und hörte das Stöhnen von unten. Zuerst wurde ich wütend, ballte die Fäuste, wollte den Typen umhauen. Am Ende hat es mich aber eigentlich nicht gestört. Später ging es noch ein Stüfchen weiter: Von da an schaffte meine Freundin in der Herbertstraße an, saß wie die anderen an einem Fenster, wo an Wochenenden Scharen von Gaffern vorbeilaufen. Tja, so ganz der Durchschnittskerl ist er nicht, der gute Herr Schmidt. Auch bei den Hooligans war/ist (hab ich nicht ganz verstanden, ob das noch bis heute andauert) er, wobei er ganz klar trennt und sagt: Die Flaschen- und Steineschmeißer, die Typen, die Sitze rausreißen und Randale machen, das sind in der Regel die Ultras. Die Hooligans wollen sich mit anderen Hooligans kloppen und zwar möglichst an verlassenen Orten, wo keine anderen mit reingezogen werden. „Auf die Wiese fahren“ nennt man das. Warum das alles? Weil sie alle Agressionen loswerden müssen, überschüssige Energie haben und sich und der Welt auch beweisen wollen, dass sie ganze Kerle sind. Seine heutige Lebensgefährtin ist damit einverstanden, sie will lieber, dass er sich kloppen geht, kontrolliert, in geordneten Bahnen, als dass er permanent im Alltag unausgeglichen und schlecht gelaunt ist. So spannend Daniel Schmidt und die Episoden aus seinem Leben sind, so mitreißend sind aber auch die Geschichten über ein paar der Elbschlosskeller-Gäste, deren Leben hier, sicherlich zum ersten Mal überhaupt, Würdigung und Anerkennung erfahren. Da werden Schicksale beschrieben, es treibt einem die Tränen in die Augen vor Wut oder Rührung darüber, wie Lebensläufe verlaufen können, wenn man eben keine Nestwärme erfahren hat – oder vielleicht hatte man die Wärme sogar, sonst aber nur noch Pech. Und selbst unter diesen „Schattenfiguren“ gibt es welche, die ein solches Schicksal meistern, die sich nach Jahren ohne Lichtblicke irgendwie aus dem Sumpf ziehen und Hilfe bekommen – zum Beispiel von Menschen wie Daniel Schmidt und seiner Frau, die ihren Elbschlosskeller oft genug als Meldeadresse für Obdachlose hergeben, wenn diese einen Nachweis für eine Wohnung erbringen müssen. Manch einer schläft dann wochenlang in einem Nebenkämmerchen des Schankraums, findet aber vielleicht einen Job – allein durch die Tatsache, dass er wieder eine Adresse angeben kann. Der Teufelskreis muss durchbrochen werden. Der Elbschlosskeller und seine Wirtsleute sind oft genug das Zünglein an der Waage, das für diese Leute bewirken kann, dass sich das Schicksal zum Guten wendet … Ein Buch, das einen mitreißt, anrührt, aufrüttelt und staunen lässt. Darüber, was für Parallelwelten es zu unseren jeweiligen Filterblasen so gibt … Ganz unbedingt lesenswert, nicht nur für Hamburg-Fans, sondern für alle, die genug Energie haben, mit Daniel Schmidt und seinem Elan mitzuhalten.

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